Schmutzig, aber nicht sexy: Warum Böden eine Lobby brauchen

Schmutzig, aber nicht sexy: Warum Böden eine Lobby brauchen

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Bauer, Steffen
Die aktuelle Kolumne (2012)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 03.12.2012)

Bonn, 03.12.2012. Am 5. Dezember ist Weltbodentag! Wen interessiert das schon? Erschließen sich der Sinn des Welt-AIDS-Tags (1. Dezember), des Weltblutspendetags (14. Juni) oder des Internationalen Frauentags (8. März) noch mehr oder weniger von selbst, so sorgt doch das inflationäre Ausrufen von Welttagen, internationalen Jahren und UN-Dekaden häufig nur noch für Achselzucken oder müdes Lächeln. Das weiß auch die Welternährungsorganisation (FAO), die den bislang nur von Bodenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern begangenen Weltbodentag in diesem Jahr erstmals mit internationalen Weihen versieht und als offiziellen Welttag der Vereinten Nationen anerkennen lassen will.

Böden haben keine Lobby
So soll die zentrale Bedeutung von Böden für das menschliche Wohlergehen ins internationale Bewusstsein gebracht und gewürdigt werden, dass gesunde Böden im wahrsten Sinne des Wortes eine unentbehrliche Grundlage für nachhaltige Entwicklung sind. Tatsächlich ist dieses Ansinnen weit weniger banal als es zunächst den Anschein haben mag, denn anders als die Agrarwirtschaft, die Bergbauunternehmen oder die Bauindustrie verfügen Böden über keine nennenswerte Lobby in Politik und Wirtschaft. Im Gegenteil: Böden erscheinen uns so selbstverständlich wie die Luft, die wir atmen. Genau darin liegt das Problem, auf dass der Weltbodentag aufmerksam machen will. Entgegen der landläufigen Wahrnehmung gibt es Böden eben nicht „wie Sand am Meer“ – im Gegensatz zur Atemluft sind sie nicht nur endlich sondern sogar knapp. Durch Verschmutzung, Erosion und Versiegelung werden sie täglich knapper.

Nur theoretisch betrachtet sind Böden ein nachwachsender Rohstoff: der natürliche Aufwuchs von zwei Zentimetern guter Humuserde dauert rund 500 Jahre. Der menschliche Bodenverbrauch ist ungleich rasanter. Nach Angaben der FAO gehen jährlich 24 Milliarden Tonnen fruchtbare Bodenkrume verloren. Das sind mehr als drei Tonnen pro Kopf der Weltbevölkerung! Das UN-Umweltprogramm (UNEP) schätzt, dass allein durch Bodenerosion jährlich bis zu fünf Mio. Hektar nutzbarer Landfläche verloren gehen, was etwa der Fläche Niedersachsens oder der Slowakei entspricht. Auch wenn die wissenschaftlichen Schätzungen über das Ausmaß der globalen Bodendegradation je nach Methode unterschiedlich ausfallen besteht grundsätzliche Einigkeit darüber, dass Bodendegradation weltweit rapide voranschreitet. Kurzum, wir stehen nicht nur im wörtlichen Sinne auf Böden, sondern treten sie auch im übertragenen Sinne mit Füßen.

Wir bebauen unsere Böden ganz selbstverständlich mit immer mehr Häusern und Straßen, Fabriken und Shopping Malls; wir pflanzen und ernten darauf naturgemäß unsere Grundnahrungsmittel und weiden unser Vieh; wir legen sie trocken und belasten sie mit Düngemitteln, Pestiziden und giftigen Chemikalien; wir durchwühlen sie nicht zuletzt nach kostbaren Bodenschätzen. Spätestens hierbei sollte auffallen, dass Böden weder beliebig austauschbarer Dreck noch im Überfluss vorhanden sind. Das Beispiel der nicht umsonst so genannten „seltenen Erden“ – hierzu zählen unter anderem die in der High-Tech-Industrie bedeutsamen Elemente Gallium, Indium, Germanium oder Scandium – veranschaulicht dies vielleicht am deutlichsten. Die Nachfrage nach diesen Stoffen wird deren Produktion absehbar deutlich übersteigen. Im globalen Wettbewerb um diese knapper und teurer werdenden Rohstoffe spielen umwelt- und entwicklungspolitische Erwägungen gegenüber knallharten wirtschaftlichen Interessen praktisch keine Rolle.

Kritisches Bindeglied im Wasser-Energie-Land-Nexus
Die unmittelbar entwicklungspolitische Relevanz von Böden wird ohnehin ungleich augenfälliger, betrachtet man ihre Bedeutung für die Welternährung. Die Bekämpfung von Hunger und Unterernährung bedarf angesichts einer weiter wachsenden Weltbevölkerung einer steigenden Agrarproduktion; eine ertragreiche Agrarproduktion bedarf wiederum zwingend fruchtbarer Böden. Eine beliebige Ausdehnung landwirtschaftlicher Nutzflächen – wie sie durch die Umwandlung von Regenwäldern und Feuchtgebieten gegenwärtig dynamisch voranschreitet – verbietet sich aber schon aus Gründen des Klima- und des Naturschutzes. Der weltweit steigende Nahrungsmittelbedarf müsste demnach noch stärker als bisher durch eine intensivere Bewirtschaftung der bereits vorhandenen Produktionsflächen erfolgen. Dies zu bewerkstelligen, ohne die dafür notwendigen Böden dauerhaft zu zerstören oder zu verlieren, ist somit eine zentrale Herausforderung zukünftiger Agrar- und Entwicklungspolitik. Ohne eine effizientere Nutzung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und damit einhergehende Änderungen im Ernährungsverhalten, speziell in den Industrieländern und den dynamisch wachsenden globalen Mittelschichten, wird sie kaum nachhaltig zu lösen sein.

Die Suche nach nachhaltigen Lösungswegen wird nicht einfacher, vergegenwärtigt man sich zudem die funktionale Rolle der Böden als Bindeglied zwischen Wasser- und Landressourcen und die aus dem Wasser-Energie-Land-Nexus erwachsenden Landnutzungskonkurrenzen. Die steigende Nachfrage nach Bioenergiepflanzen und die daraus folgende Zuspitzung der Frage „Teller oder Tank?“ sind dafür nur ein Beispiel. Hinzu kommen komplexe Wechselwirkungen mit dem Artenschutz und dem Klimawandel. Diese zeigen sich im häufig übersehenen Beitrag, den Böden für die Erhaltung wichtiger Ökosysteme erbringen. Sie sind zum einen Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten, vor allem Mikroorganismen, deren existentielle Bedeutung für Ökosystemdienstleistungen wie Bodenfruchtbarkeit und Wasseraufbereitung allenfalls erahnt werden kann. Zum anderen binden gesunde Böden große Mengen Kohlenstoff, der andernfalls als Treibhausgas in Form von Kohlenstoffdioxid oder Methan in die Atmosphäre entweichen würde. Nicht umsonst ist die Anerkennung von Böden als Kohlenstoffsenke ein heiß umstrittenes Dauerthema bei den internationalen Klimaverhandlungen.

Der ehemalige Bundesumweltminister und UNEP-Direktor Klaus Töpfer spricht angesichts des dramatischen globalen Bodenverlusts von einer Zeitbombe. Auf seine Initiative hin versammelten sich Ende November 2012 mehr als 400 Menschen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Entwicklungszusammenarbeit aus 65 Ländern in Berlin zur ersten Global Soil Week. Deren erklärtes Ziel war es, das öffentliche Bewusstsein für den unverantwortlichen Umgang mit den Böden der Erde zu erhöhen und die politische Aufmerksamkeit für Bodenschutz und nachhaltige Landnutzung auf der internationalen Agenda zu stärken. Die Bodenlobby beginnt also sich zu organisieren. Gelingt es ihr, die politischen Entscheidungsträger von den deklarativen Höhen bodenlos enttäuschender Gipfeltreffen auf den Boden der Tatsachen zu holen, wäre für die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsagenda noch viel zu erreichen.

Über den Autor

Bauer, Steffen

Politikwissenschaftler

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