VN-Generalversammlung im Schatten einer Krise
Drei Themen für eine entwicklungspolitische Neupositionierung der VN
Baumann, Max-OttoDie aktuelle Kolumne (2025)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 08.09.2025
Bonn, 8. September 2025. Am 9. September beginnt die nächste Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN). Zwei Wochen später kommen die Staats- und Regierungschefs zur Generaldebatte nach New York, um die großen Themen der internationalen Politik zu diskutieren. Dabei wird es dieses Jahr auch um die VN selbst gehen. Ein drastischer Einbruch bei den finanziellen Beiträgen der Mitgliedstaaten hat die VN in ihrem 80. Jahr in eine tiefe Krise gestürzt. Betroffen ist auch der Entwicklungsbereich der VN. Zu den finanziellen Engpässen, die zu teils massiven Einschränkungen der VN-Entwicklungsarbeit führen, kommt der politische Gegenwind einiger großer Mitgliedsstaaten. Dies rührt an die Rolle der VN als multilateralem Mittelpunkt der globalen Nachhaltigkeitspolitik – in einer Zeit, in der die Welt bei der Erreichung der SDGs weit hinter den gemeinsam vereinbarten Zielen zurückliegt.
An der Notwendigkeit nach nachhaltiger Entwicklung ändern auch die widrigen Umstände nichts. Sie bleibt eine Herausforderung unserer Zeit als Faktor für die Reduzierung des Drucks auf planetare Grenzen, für Wohlstand, die Sicherung globaler Güter, ein Leben in Würde für alle. Multilateralismus mag derzeit schwierig sein, aber der Auftrag der VN-Charta, „eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen“, bleibt angesichts ungelöster Aufgaben und mangelnder Alternativen zu den VN unangreifbar. Krisen eröffnen Handlungsspielräume, und die gilt es nun zu nutzen.
In der Vergangenheit hat die VN-Entwicklungsarbeit wichtige Unterstützung geleistet für Entwicklungsländer, besonders im postkolonialen Nationbuilding und im Gesundheitsbereich. Doch die Welt hat sich gewandelt, die VN müssen mit der Zeit gehen. Die von VN-Generalsekretär Guterres angestoßene umfassende „UN80“-Reforminiative mag in erster Linie eine Reaktion auf finanzielle Nöte sein, bietet aber die Möglichkeit für eine Neupositionierung der VN. Über drei Herausforderungen sollte gesprochen werden.
(a) Die Funktionen der VN-Entwicklungsarbeit müssen sich neuen Anforderungen anpassen. Kapazitätsmängel sind häufig nicht mehr das größte Problem. Die Einstellung der US-Entwicklungshilfe in vielen Ländern hat einmal mehr Abhängigkeiten von externer Hilfe sichtbar werden lassen. In der Folge dürfte eine Unterstützung nationaler Eigenanstrengungen wichtiger werden. Die Bedeutung von grenzüberschreitenden Herausforderungen und öffentlichen Gütern ist gestiegen, dies auch im globalen Maßstab. Vor diesem Hintergrund sollte die VN-Entwicklungsarbeit weniger als Umsetzer von kleinteiligen Projekten agieren, sondern sich stärker auf multilaterale Kernfunktionen besinnen: Die Unterstützung nationaler Entscheidungsprozesse durch Beratung, die sich auf globales Monitoring, die Analyse von Best Practices und internationale Normen und Standards stützt.
(b) Es bedarf einer inklusiveren, alle Mitgliedstaaten gleichermaßen einbeziehenden Global Governance. Die VN-Entwicklungsarbeit reflektiert mit ihrer Einteilung in „Programmländer“ hier und Geber da eine Nord-Süd-Teilung, die politisch, wirtschaftlich und normativ immer weniger der Realität entspricht – ebenso wie die globalen Problemlagen selbst sich nicht aufteilen lassen. Zu Recht verlangen die Länder des Globalen Südens mehr Repräsentation und Mitsprache in den VN, besonders zu Themen, bei denen die Politik einer Gruppe von Ländern (negative) Auswirkungen auf die Entwicklungschancen einer anderen hat. Die VN können solche Global Governance-Prozesse durch Monitoring und Analysen zu globalen Herausforderungen unterstützen und zu einer Versachlichung beitragen.
(c) Für diese Veränderungen sind Anpassungen bei der Finanzierung der VN notwendig. Seit den 1990er-Jahren nimmt der Anteil jener Beiträge zu, die Geber an bestimmte Zwecke binden. Bei 81 % lag der Anteil zweckgebundener Mittel im Jahr 2023, und mit zunehmenden geopolitischen Spannungen dürfte er noch steigen. Zweckbindung in dieser Größenordnung sollte als Zielkonflikt benannt werden. Sie ermöglicht dem Geber direkten Einfluss; gleichzeitig unterläuft sie die Wirksamkeit der VN-Entwicklungsarbeit, die mandatierten Funktionen und vor allem den egalitären Charakter des VN-Multilateralismus. Erforderlich ist dagegen eine stabile Kernfinanzierung, über deren Verwendung VN-Organisationen im Rahmen ihrer Mandate und angepassten Rechenschaftsstrukturen flexibel entscheiden können.
Utopisch sind Schritte in Richtung einer Neuaufstellung der VN-Entwicklungsarbeit nicht. Die finanziellen Einbrüche könnten Anlass sein, die VN stärker auf zentrale multilaterale Funktionen auszurichten, die günstiger und vielleicht auch wirksamer sind als die mit hohen Transaktionskosten verbundene und auf einen hohen Mitteldurchsatz ausgerichtete Projektarbeit. Diese Umgewichtung von Hilfe zu Kooperation muss aktiv gestaltet werden. Der Maßstab sollte in Zukunft sein, wie die VN politisch wachsen kann, nicht finanziell.
Auch da liegen Chancen. Würde sich die VN-Entwicklungsarbeit im Stil klassischer EZ auf die Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder und der Niedrigeinkommensländer konzentrieren, würde sie in dem Maß an globaler Relevanz verlieren, wie deren Zahl kleiner wird. Die VN sollten daher insbesondere auch die entwicklungspolitischen Global Governance-Interessen der derzeit 105 Mitteleinkommensländer bedienen – einer Gruppe von Ländern, die kollektiv den Großmächten etwas entgegensetzen kann und damit zu einer wichtigen Ressource für den VN-Multilateralismus werden könnte.