Die Finanzkrise als Chance? Ordnungspolitiken für globale Entwicklung

Die Finanzkrise als Chance? Ordnungspolitiken für globale Entwicklung

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Faust, Jörg / Dirk Messner
The Current Column (2008)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 20.10.2008)

Bonn, 19.10.2008. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die internationale Finanzkrise nicht nur direkte Effekte auf die Entwicklungsländer haben wird, auf welche die Entwicklungspolitik kurzfristig reagieren muss. Darüber hinaus resultieren aus der Krise fundamentale Konsequenzen für das entwicklungsstrategische Auftreten der OECD-Welt gegenüber den Entwicklungsländern.

Denn mit den offensichtlichen Regulierungsdefiziten der OECD-Finanzmärkte schwindet auch die Legitimation eines entwicklungspolitischen Leitbildes, das in den vergangenen Dekaden maßgeblich von den USA, Großbritannien und den in der US-Hauptstadt ansässigen internationalen Finanzinstitutionen geprägt wurde. Zwar steht der im sogenannten ‚Washington-Konsens’ als entwicklungspolitisches Leitbild definierte Minimalstaat und die daraus abgeleiteten Konditionalitäten für die Vergabe von Entwicklungsgeldern bereits seit einigen Jahren in der Kritik. Der Vorwurf lautet, dass durch die Umsetzung dieses einseitig auf Marktkräfte setzenden Leitbildes bestenfalls makroökonomische Stabilität und moderates Wirtschaftswachstum, kaum aber langfristig nachhaltige und inklusive sozioökonomische Entwicklung gefördert werden könne. Gleichwohl blieb die angelsächsische Version des Wirtschaftsliberalismus im Kern das Leitmotiv der diskursprägendsten entwicklungspolitischen Organisationen. „Alteuropäische Vorstellungen“ galten hingegen als globalisierungsuntauglich. Auch die im September 2008 von der Weltbank im „Doing Business-Report 2009“ propagierten wirtschaftspolitischen Empfehlungen setzten den Abbau staatlicher Regulierung per se in einen linearen Zusammenhang mit Wachstum und wirtschaftlicher Entwicklung. In dem Maße, in dem die aktuelle Finanzkrise auf massive Regulierungsdefizite und mangelnde Transparenz in denjenigen Staaten zurückzuführen ist, die jenes entwicklungspolitische Leitbild am vehementesten unterstützen, bricht dessen Legitimitätsbasis weg.

Was bleibt, ist ein hohes Maß an Unsicherheit über die ordnungspolitischen Grundlagen „guter“ entwicklungspolitischer Konzepte. Dies betrifft weniger die entwicklungsbegünstigenden Prinzipien transparenter und demokratisch partizipativer Regierungsführung. Denn der gegenüber den am meisten betroffenen Volkswirtschaften der asiatischen Währungskrisen der Jahre 1997/1998 geäußerte Vorwurf von Vetternwirtschaft und Intransparenz kommt nun als Bumerang zurück. Doch neben dem Gebot für transparentere und inklusivere Verfahren stehen grundsätzlichere Fragen nach dem angemessenen Verhältnis von Staat und Markt, die auf Grundlage des demokratischen Rechtsstaates inklusive sowie ökologisch nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung befördern. Man könnte nun der Ansicht sein, dass dieses aus der Finanzkrise resultierende entwicklungsstrategische Vakuum eher von nachrangiger Relevanz auf der aktuellen Prioritätenliste der OECD-Welt ist. Doch angesichts des rasanten Bedeutungszuwachses einer ganzen Reihe von Entwicklungsländern stellt sich die Frage, entlang welcher normativer Leitmotive die westlichen Demokratien zunehmend drängende regionale und globale Probleme verhandeln wollen. Denn ob Regulierung der internationalen Finanzmärkte, internationaler Klimaschutz, Reform der Vereinten Nationen, die Einhegung transnationalen Terrorismus oder die Lösung von Gewaltkonflikten.: für die mit zunehmender Verhandlungsmacht ausgestatteten Ankerländer – allen voran China, Indien, Brasilien und Südafrika – sind diese internationalen Fragestellungen aufs engste mit originär entwicklungspolitischen Fragestellungen nach Wachstum und Wohlstand verknüpft. Gegenüber den Entwicklungsländern ohne einen überzeugenden Orientierungsrahmen über das Verhältnis von Staat, Markt und Demokratie gegenüber den Entwicklungsländern aufzutreten, hieße für die OECD-Welt nicht nur massiv an Überzeugungskraft in der Entwicklungszusammenarbeit zu verlieren. Das fehlen eines solch entwicklungspolitischen Orientierungsrahmens bedeutet angesichts der internationalen Machtverschiebungen zudem, erhebliches Gestaltungspotential bei drängenden multilateralen Problemen aufzugeben.

Doch von wo sind international trag- und konsensfähige Konzepte für die Entwicklungspolitik bzw. für das Auftreten gegenüber Entwicklungsländern in internationalen Foren zu erwarten? Gegenwärtig wird vor allem mit drei Impulsgebern gerechnet, welche gleichsam die aktuellen Gravitationszentren des internationalen Systems repräsentieren.

Ein erster Hoffnungsträger ist die USA in der Gestalt einer von Barack Obama präsidierten Regierung. Von dem teils bereits als Heilsbringer stilisierten Präsidentschaftskandidaten wird erhofft, dass er im Falle seines Wahlsieges seine nach innen gerichteten Reformabsichten auch auf die Außenpolitik der Vereinigten Staaten projiziert. Ein sich in der Außenpolitik manifestierender „New Global Deal“ würde demzufolge nicht nur sozialstaatlichere und regulierungsintensivere Aspekte in die internationalen Organisationen der Entwicklungspolitik transportieren. Ein solcher Wandel würde zugleich eine Hinwendung zu kooperativen und damit kompromissbereiteren Formen des multilateralen Engagements bedeuten. Doch ein solches Szenario ist unsicher. Trotz aller dem Kandidaten zugeschriebenen Erneuerungskraft wird die innergesellschaftliche Bewältigung der desaströsen Hinterlassenschaften der Bush-Administration das Gros der politischen Ressourcen einer neuen US-Regierung aufzehren und den Spielraum für weitreichende Kompromisse in der US-Außenpolitik beschränken.

Ein zweiter Kandidat mit vermeintlich hohem normativem Gestaltungspotential ist China. Wenngleich skeptisch von den westlichen Demokratien beäugt, so bietet die rasante wirtschaftliche Entwicklung und die internationale Bedeutung der Volksrepublik doch für etliche Kommentatoren Anlass genug, von einem „Pekinger Modell“ für Entwicklungsländer zu sprechen. In dem Maße, wie die enormen Devisenreserven Chinas auch international zur Bewältigung der Finanzkrise eingesetzt werden, wird die Pekinger Regierung dazu in die Lage versetzt, deren Verwendung an bestimmte Bedingungen zu knüpfen und damit wirtschaftspolitische Vorgaben zu machen. Doch hieraus alleine und auch aus der Tatsache, dass wirtschaftliches Wachstum auch ohne repräsentative Demokratie generiert werden kann, erwächst noch kein entwicklungspolitisches Leitbild für das 21. Jahrhundert. Dies gilt umso mehr, als die politischen, sozialen und ökologischen Kolateralschäden des rapiden ökonomischen Wandels in China bestenfalls ambivalent ausfallen. Zudem entbrennt in China selbst eine zunehmend kontroverse innergesellschaftliche Diskussion um die angemessene Rolle von Staat, Markt und Demokratie.

Der dritte Kandidat ist die Europäische Union. Erstens, weil zumindest die kontinentaleuropäischen Versionen der Marktwirtschaft lange Zeit die herausgehobene Rolle des Staates als Hüter und Garant funktionierender Märkte begriffen und hieraus ein deutlich stärkeres Regulierungsgebot abgeleitet haben. Dieser Fokus auf die Determinanten langfristiger wirtschaftlicher Entwicklung manifestierte sich zweitens darin, dass die kontinentaleuropäischen Ordnungspolitiken auch stärker die negativen sozialen und umweltpolitischen Externalitäten von Märkten einzuhegen versuchten. Diese „alteuropäischen“ Grundprinzipien könnten nun eine internationale Renaissance erfahren, wenn es der europäischen Politik gelänge, daraus nationale und globale Ordnungspolitiken zu entwickeln, die dem Zeitalter der Globalisierung entsprechen und zugleich auch die Interessen der Entwicklungsländer angemessen berücksichtigen. Hierfür ist jedoch eine intellektuelle und politische Kraftanstrengung notwendig, denn ein einfaches zurück zur national definierten sozialen Marktwirtschaft und der Planungseuphorie der 1970iger Jahre wird es nicht geben.

Europa sollte die Chancen, die in der gegenwärtigen Krise für eine globale Neuordnung der Beziehungen zwischen OECD- und Entwicklungsländer liegt, nutzen, und sich nicht nur auf die Krisenbewältigung „nach Innen“ konzentrieren. Ermutigend ist, dass der derzeitige EU-Ratsvorsitzende Nicolas Sarkozy und EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso an diesem Wochenende US-Präsident Bush davon überzeugen konnten, eine ganze Serie von Welt-Finanzgipfeln noch vor dem Amtsantritt des nächsten US-Präsidenten einzuberufen. Erste Vorschläge und Reaktionen der letzten Tage und Wochen können dabei als Versatzstücke für ein solches Vorhaben genutzt werden. Bundespräsident Horst Köhler fordert ein „Bretton Woods II“, Weltbankpräsident Robert Zoellick eine rasche Modernisierung der multilateralen Weltordnung, UNEP-Chef Achim Steiner bringt globale Initiative für klimaverträgliches Wirtschaften ins Spiel. Die Europäische Union könnte einen Unterschied machen, wenn sie in dieser Situation der globalen Weichenstellungen mit Verve eine Koalition zur Reform des internationalen Systems vorantreibt und diese mit ordnungspolitischen Konzepten versorgt. Die Neuordnung der Finanzmärkte müsste einhergehen mit Initiativen gegen die Hunger- und Ernährungskrise, Durchbrüchen in der Handels- und Klimapolitik sowie Weichenstellungen in Richtung einer nichtfossilen Weltwirtschaft verknüpft werden. Denn eine der wichtigsten Lehren aus dem gegenwärtigen Finanzdesaster lautet: globale Interdependenzprobleme sind in einer zunehmend multipolaren Welt eben nur durch multilaterale Kooperation und fairen Interessenausgleich zu bewältigen. Dies bedeutet für die OECD-Welt, dass Lösungen ohne die Beteiligung von Entwicklungs- und Schwellenländer nicht zukunftsfähig sind.

Ob Europa die skizzierte Rolle tatsächlich wird einnehmen können, bleibt offen. Reflexartig blickt bereits ein Teil der europäischen Repräsentanten auf die USA in Gestalt von Barack Obama, in der Hoffnung, dass von dort erneut ein stabiler Handlungsrahmen für europäisches Experimentieren gesetzt würde. Da dies vermutlich kurz und mittelfristig nicht geschehen wird, bleibt zu hoffen, dass sich Europas Regierende der Herausforderung ihrer zunehmend globalen Mündigkeit bewusst werden, um das vorhandene Gestaltungspotential europäischer Ordnungs- und Entwicklungspolitik in der aktuellen Krise deutlich zu machen.

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Faust, Jörg

Political Scientist

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