Gefährlicher Klimawandel als Zivilisationskrise
In einem Beitrag für das Magazin für Entwicklungspolitik der Bundesregierung beschreibt DIE-Direktor Dirk Messner Szenarien, die ein ungebremster Klimawandel mit sich bringen würde: 
 Bonn, 02.12.2009.  Spätestens mit dem IPCC–Bericht des UN-Umweltbeirats (Intergovernmental  Panel on Climate Change) von 2007 wird es deutlich: Ein gefährlicher  Klimawandel, jenseits einer globalen Erwärmung von zwei Grad Celsius,  könnte im Vergleich zur vorindustriellen Zeit eine globale  Zivilisationskrise auslösen. Die Klimaforschung zeigt, worum es geht. 
 Ohne eine wirksame Klimapolitik könnte es am Ende  dieses Jahrhunderts weltweit  drei bis sechs Grad Celsius wärmer sein  als zu Beginn der industriellen Revolution. 
 Ein Erwärmungsschub in dieser Größenordnung kommt  einem Erdsystemwandel gleich. Während der letzten Eiszeit, vor 20.000  Jahren, war es etwa vier Grad Celsius kälter als heute und die globalen  Ökosysteme sahen völlig anders aus. Teile Nordeuropas und Nordamerikas  lagen unter dem Eis des Nordpols. Eine Temperaturverschiebung von vier  Grad Celsius ist also keine Kleinigkeit, sondern würde eine Zeitenwende  einleiten. 
 Nun könnte die Welt in den kommenden Dekaden einen  Wärmeschub erleben, den sie in so kurzer Zeit seit mindestens drei  Millionen Jahren nicht durchlaufen hat. 
 Die Menschheit dreht also an den ganz großen  Schrauben des Erdsystems, mit irreversiblen und unübersehbaren Folgen.  Die Klimaforschung warnt vor dieser Dynamik und beschreibt "Kipp-Punkte"  im Erdsystem, ökologische Großunfälle, die durch den globalen  Klimawandel ausgelöst werden könnten: 
 
- die arktischen Eismassen könnten vollständig abschmelzen,
- der Amazonas-Regenwald kollabieren,
- der asiatische Monsun ausfallen, mit jeweils  großskaligen, verheerenden, aber vor allem langfristigen und  unumkehrbaren Auswirkungen auf die globalen Ökosysteme sowie die  Menschheit. 
 Hierin liegt der große Unterschied zur aktuellen  Weltwirtschaftskrise. Diese ist tief, einschneidend und verursacht  enorme soziale Kosten. Doch sie wird in wenigen Jahren überwunden sein. 
 Globale Erwärmung verschärft die weltweite Armut
 Ein gefährlicher Klimawandel, der mit einer globalen  Erwärmung über zwei Grad zu erwarten ist, verändert jedoch die Erde und  die Lebensbedingungen für die Menschen dauerhaft. Er unterminiert  menschliche Entwicklung und verstärkt die weltweite Armut. 
 In Afrika werden schon bis 2020 75 bis 220 Millionen  Menschen zusätzlich unter Wasserknappheit zu leiden haben. Die  Nahrungsmittelproduktion wird in einigen Gegenden um bis zu 50 Prozent  zurückgehen und insbesondere die Existenz von Kleinbauern gefährden. 
 Und ein Meeresspiegelanstieg von nur 50 Zentimetern  würde den Lebensraum von etwa sieben Millionen Menschen im Nildelta  zerstören. In Asien würde das Abschmelzen der Gletscher des Himalayas ab  2050 die Trinkwasserversorgung von etwa einer Milliarde Menschen  bedrohen. Indien, Pakistan, Bangladesch und die Philippinen würden zu  Opfern von Extremwetterereignissen und von Überflutungen, ausgelöst  durch starke Stürme und sintflutartige Regenfälle. 
 Migrationsströme zu erwarten
 Der Meeresspiegelanstieg und zunehmend starke  Tropenstürme stellt die Ostküste Chinas vor große Herausforderungen. Im  dicht besiedelten Gangesdelta könnten zwischen 30 und 100 Millionen  Menschen ihre Heimat verlieren, wenn der Meeresspiegel um einen Meter  anstiege. 
 Dürren würden im Norden Indiens und Chinas die  Landwirtschaft gefährden. In Lateinamerika drohen Wasserknappheiten in  Regionen, die von den Trinkwasserreservoirs der Andengletscher abhängen.  
 Die Sieben Millionen-Stadt Lima bezieht zum Beispiel  an die 90 Prozent ihres Trinkwassers von den benachbarten Gletschern.  Diese haben bereits in den vergangenen Jahren etwa 35 Prozent ihres  Volumens verloren. 
 Weil die Existenzgrundlagen vieler Menschen zerstört  würden, sind entsprechende Migrationsbewegungen zu erwarten.  Wirkungsvolle Armutsbekämpfung wird unter den Bedingungen ungebremsten  Klimawandels zu einem aussichtlosen Vorhaben. 
 Klimawandel als Sicherheitsrisiko
 Ein ungebremster Klimawandel untergräbt jedoch nicht  nur die menschliche Entwicklung. Er begünstigt zugleich weltweit  Unsicherheit und Destabilisierung. Eine Stufenleiter wird sichtbar: 
 
- Klimawandel gefährdet die menschliche Sicherheit in vielen Ländern und Weltregionen und verstärkt Migrationsprozesse.
- In Entwicklungsländern, in denen viele Menschen von den Folgen der globalen Erwärmung betroffen sind, drohen subnationale oder auch nationale Zerfalls- und Destabilisierungsprozesse. Sie treten infolge politischer und ökonomischer Überforderung von Staaten auf, insbesondere in Ländern, die bereits heute durch schwache oder scheiternde Institutionen geprägt sind.
- Weil Umweltstress nicht an territorialen  Grenzen halt macht und Konfliktdynamiken oft auf Nachbarländer  überschwappen, können Klimakrisenregionen entstehen. 
 Die Erosion sozialer Ordnungen würde den seit den  1990er Jahren zu beobachtenden Trend zu "neuen Konflikten" jenseits  zwischenstaatlicher Kriege verstärken. So wären beispielsweise  gewalttätige Auseinandersetzungen in Gesellschaften um den Zugang zu  sich verknappenden Ressourcen zu erwarten. Oder auch der Kollaps von  Staaten und Rechtlosigkeit sowie grenzüberschreitende Konflikte als  Begleiterscheinung zunehmender Migrationsbewegungen. 
 Die vier Existenzgrundlagen gefährdet
 Nimmt man all diese Trends zusammen, wird deutlich,  dass die Menschheit dabei ist, die vier wichtigsten Grundlagen jedweder  menschlichen Zivilisation im globalen Maßstab zu destabilisieren: 
 
- Wasser
- Landwirtschaftliche Flächen (Nahrung)
- Atmosphäre: Sie könnte im Verlauf der nächsten Dekaden zu einem knappen Gut werden. Die Versorgung von neun Milliarden Menschen im Jahre 2050 mit den existentiellen Grundgütern wären unter den Bedingungen eines beschleunigten Klimawandels gefährdet.
- Energie: Aufgrund der Klimakrise muss die  weltweite Energieproduktion in den kommenden Dekaden vollständig  umgebaut werden - von einem fossilen zu einem auf erneuerbaren  Energieträgern basierten System. 
Die Menschheit muss also große Anstrengungen zur Stabilisierung dieser vier Existenzgrundlagen der Weltgesellschaft unternehmen: Wasser, Ernährung, Atomsphäre, Energie. Die Herausforderung besteht darin, dass die Weltgesellschaft lernen muss, Weltwirtschaft und -politik innerhalb der Grenzen des Erdsystems zu gestalten.