Die aktuelle Kolumne

Warum Ernährungssysteme wichtig sind

Bedeutung der Ernährungssysteme für nachhaltige Transformationen

Brüntrup, Michael / Aiveen Donnelly / Lukas Kornher / Tekalign Sakketa
Die aktuelle Kolumne (2025)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 1.12.2025

Bonn, 01. Dezember 2025. Auf der COP30 in Belém haben politische Entscheidungsträger*innen, Wissenschaftler*innen und die Zivilgesellschaft internationale Verpflichtungen und nationale Beiträge diskutiert und aktualisiert, um sie stärker an den Klimazielen des Pariser Abkommens auszurichten. Zum ersten Mal haben mehrere Staaten sowie die EU Klimaschutzmaßnahmen ausdrücklich mit der Bekämpfung von Hunger, dem Zugang zu Nahrungsmitteln und sozialer Sicherheit verknüpft. Doch obwohl dieses Thema zu den Kernpunkten der Konferenz zählte, erkennen Länder mit hohem Einkommen die zentrale Rolle der Ernährungssysteme für globale Transformationsprozesse weiterhin unzureichend an – und ihre Umgestaltung ist weiterhin unterfinanziert.

Ohne nachhaltige Ernährungssysteme gibt es keine nachhaltige Zukunft. Die Landwirtschaft – inklusive Fischerei und Forstwirtschaft – ist Grundlage der Ernährungssysteme und beansprucht 40 % der globalen Landflächen und Ökosysteme. Ernährungssysteme nutzen 70 % der weltweiten Süßwasservorräte, verursachen einen erheblichen Teil der Wasserverschmutzung und bis zu 30 % der Treibhausgasemissionen. Gleichzeitig schaffen sie Jobs für 40 % der Weltbevölkerung und versorgen 8 Milliarden Menschen mit Nahrung. Eine nachhaltige Bioökonomie könnte Treibhausgasemissionen senken und zugleich produktive Flächen und Ökosysteme erhalten.

Eine nachhaltige, bezahlbare und gesunde Ernährung für alle ist das oberste Ziel von Ernährungssystemen. Diese umfassen sämtliche Aktivitäten und Akteure entlang der Wertschöpfungskette und berücksichtigen die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Rahmenbedingungen, die diese Aktivitäten prägen und beeinflussen. Dazu gehören auch die Auswirkungen von Lebensmittelverarbeitung, -handel, -konsum sowie der Umgang mit Verlusten und Verschwendung auf die Nachhaltigkeit. Ernährungssysteme beziehen zudem weitere Dimensionen ein – von Kaufkraft bis hin zu Inflation und Gesundheit –, insbesondere im Hinblick auf marginalisierte und vulnerable Gruppen.

Dabei unterliegen Ernährungssysteme einem ständigen Wandel und sind aufgrund verschiedener externer Einflüsse und interner Dynamiken besonders anfällig. Zu den externen Faktoren gehören etwa Klimawandel und öffentliche Gesundheit, während die internen Dynamiken auf Effekte wie Produktivitätssteigerungen durch Innovationen, neue Verarbeitungstechnologien, Transportkosten oder sich verändernde Konsumtrends zurückgehen. Auch Machtverhältnisse innerhalb des Systems, die politische Ökonomie verschiedener Teilsysteme und globale politische Veränderungen wirken auf sie ein. Zugleich haben Ernährungssysteme nicht nur für die Versorgung mit Nahrungsmitteln, sondern auch für Gesundheit, Umwelt, Sicherheit und Wirtschaft strategische Bedeutung.

Ernährungssysteme dürfen in Debatten über nachhaltige gesellschaftliche Transformationen nicht länger ausgeblendet werden. Ernährungssysteme verursachen bereits heute jährliche Kosten von 10 bis 20 Billionen US-Dollar durch Gesundheitsrisiken, Produktivitätsverluste, Umweltzerstörung und Armut – nahezu zehn Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts. Die Folgen des Klimawandels auf Lebensgrundlagen sind schon jetzt sichtbar, vor allem für die ländliche Bevölkerung. Setzt sich die derzeitige Politik fort, werden laut Global Policy Report im Jahr 2050 rund 640 Millionen Menschen unterernährt und 1,5 Milliarden übergewichtig sein.

Eine umfassende Transformation der Ernährungssysteme kann dazu beitragen, diesen Kurs zu verlassen und die externen Effekte deutlich zu reduzieren. Dafür braucht es eine Kombination aus Verhaltensänderungen, politischen Anpassungen, institutionellen Reformen, technologischen Innovationen und sofortigen Maßnahmen zur Unterstützung gefährdeter Gruppen. Eine Ernährungsumstellung hin zu mehr pflanzlichen Nahrungsmitteln kann ernährungsbedingte Ungleichheiten, Mangelernährung und die mit Ernährungssystemen verbundenen ökologischen Folgen verringern. Die Agrarpolitik muss sich von umweltschädlichen Produktionsanreizen und Preiskontrollen, die zu Marktverzerrungen führen, lösen und den Zugang zu nachhaltiger und gesunder Ernährung für alle gewährleisten. Außerdem ist der Ausbau von Sozialsystemen und Transferleistungen unverzichtbar. Zugleich sind steigende Investitionen in Klimaanpassung und -schutz erforderlich, denn derzeit macht die Klimafinanzierung für Ernährungssysteme nur einen kleinen Teil der globalen Klimafinanzierung aus.

Einerseits müssen die externen Effekte der Ernährungssysteme in Marktpreisen sichtbar werden. Damit nachhaltige Veränderungen gelingen, müssen sämtliche Aktivitäten innerhalb der Ernährungssysteme anhand ihrer positiven und negativen externen Effekte neu bewertet werden.

Andererseits erfordert die Transformation der Ernährungssysteme erhebliche zusätzliche Investitionen. Die Politik muss die bestehende Finanzierungslücke schließen, denn trotz ihrer zentralen Bedeutung für die globalen Nachhaltigkeitsziele sind Ernährungssysteme weiterhin stark unterfinanziert.

Daher müssen: Ernährungssysteme ins Zentrum der Nachhaltigkeitsagenda rücken. Globale Debatten zur Nachhaltigkeitstransformation müssen ihre Rolle – ebenso wie jene der Bioökonomie – umfassend berücksichtigen. Sofortige Maßnahmen, wie der Ausbau einer klimafreundlichen Landwirtschaft und die Stärkung sozialer Sicherungssysteme, sind unverzichtbar, um notwendige Transformationen auf den Weg zu bringen.


Die gesamte IDOS-Arbeitsgruppe Landwirtschaft hat zu dieser Kolumne beigetragen. Sie ist eine Gruppe von Forscher*innen aller Fachrichtungen am IDOS, die zu allen Themen rund um die Landwirtschaft in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen arbeiten und darüber diskutieren.

 

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