Die 2030-Agenda – eine kopernikanische Wende in der Entwicklungspolitik?

Die 2030-Agenda – eine kopernikanische Wende in der Entwicklungspolitik?

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Gass, Thomas; Silke Weinlich
Die aktuelle Kolumne (2015)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne, 05.10.2015)

Bonn, New York City, 05.10.2015. Die Staats- und Regierungschefs der Welt haben letzte Woche in New York die 2030 Agenda for Sustainable Development verabschiedet. Die Agenda mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) steht für einen echten Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik. Entwicklung wird nicht mehr nur als ein Prozess begriffen, der in ärmeren Ländern – oft mit Unterstützung von außen – abläuft. Nicht mehr allein die Abschaffung der Armut steht im Fokus – obwohl sie als SDG1 weiterhin einen sehr wichtigen Platz einnimmt. Unter den Überschriften Menschen, Planet, Wohlstand, Frieden und Partnerschaft nehmen die SDGs eine beispiellose Verschränkung von ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekten nachhaltiger Entwicklung vor. Ungleichheit in und zwischen Ländern zu senken ist gleichermaßen ein Ziel wie der Schutz der Ozeane oder der Wandel hin zu nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern. Wichtige Querschnittsthemen wie Migration, wirtschaftliche Integration der Armen und Katastrophenrisikoverminderung werden in den 169 Unterzielen aufgegriffen. Darüber hinaus beinhaltet die 2030-Agenda politische Fragen wie gute Regierungsführung, den Zugang zur Justiz und die Förderung von Frieden und Rechtsstaatlichkeit.

Das wichtigste Element dieser „Neudefinition“ der nachhaltigen Entwicklung ist das Versprechen, niemanden zurückzulassen. Die Ziele sollen also nicht nur im Großen und Ganzen erreicht werden, sondern gerade auch für verwundbare und marginalisierte Bevölkerungsgruppen. In ihrer gemeinsamen Erklärung haben die Staatschefs am 25. September 2015 sogar unterstrichen, dass diese ärmsten Bevölkerungsgruppen zuerst erreicht werden müssen. Außerdem erkennt die 2030- Agenda an, dass nachhaltige Entwicklung unteilbar ist und ihre Ziele daher alle Länder dieser Erde verpflichtet.

In all diesen Aspekten unterscheidet sich die 2030-Agenda von den Millenniumsentwicklungszielen (MDGs), denen sie nachfolgt. Kritiker bemängeln, dass die 17 SDGs im Vergleich zu den MDGs viel zu zahlreich und komplex sind und dass ihre Umsetzung eine exorbitante Summe Geld verschlingen würde, die niemals als Entwicklungshilfe bereitgestellt werde.

Diese Kritik verkennt erstens, dass eine komplexe Agenda notwendig ist, wenn Armutsbekämpfung in all ihren Facetten ernst genommen wird. Es reicht nicht, sich ausschließlich auf Zugang zu Bildung, Müttergesundheit oder wirtschaftliches Wachstum zu konzentrieren, wenn all dies fundamental mit Themen wie Frieden, endlichen Ressourcen, oder dem Schutz von Kollektivgütern wie dem Klima zusammenhängt.

Zweitens spiegelt die Agenda das Ergebnis eines umfassenden globalen Konsultationsprozesses wieder. Dies schafft einen ungeheuren Rückhalt bei einer großen Anzahl von Regierungsvertretern, UN-Organisationen, zivilgesellschaftlichen Akteuren und der Privatwirtschaft, die an der Aushandlung beteiligt waren. Ihre aktive Unterstützung wird nun für die Umsetzung in wirtschaftlich wie politisch komplexen Zeiten benötigt.

Drittens ist die 2030-Agenda eine universelle Agenda für nachhaltige Entwicklung: Es geht um Armutsbekämpfung, Frieden und Wohlstand innerhalb der Grenzen des Erdsystems in reichen wie in armen Ländern. Entwicklungsgelder und Entwicklungszusammenarbeit sind zwar wichtig, vor allem um die ärmsten und verwundbarsten Bevölkerungsgruppen verstärkt zu unterstützen und mitzunehmen. Dabei sollte nicht aus dem Auge verloren werden, dass auch in ärmeren Ländern inländische Ressourcen und private Geldquellen oft schon eine wichtigere Rolle spielen. Viel Potenzial liegt zudem darin, Steuerflucht zu vermeiden und illegale Finanzströme zu unterbinden. Um die Ziele in reichen und teilweise auch in aufstrebenden Ländern umzusetzen, spielt Entwicklungshilfe zwar keine Rolle. Es bedarf jedoch gewaltiger finanzieller Anstrengungen, um die SDGs zu erreichen. Daher wird auch eine Steigerung von Entwicklungsgeldern notwendig sein.

Jetzt geht es an die Umsetzung der 2030-Agenda und der auf dem Gipfel zur Entwicklungsfinanzierung beschlossenen Maßnahmen, auf nationaler und globaler Ebene. Das UN-System steht bereit, um alle Staaten, wo nötig, in der Formulierung ihrer nationalen Strategien zu unterstützen. Länder wie Deutschland und die Schweiz sind nun gefragt. Sie wollen mit gutem Beispiel vorangehen und aufzeigen, wie sich die Agenda national umsetzen lässt. Dafür werden sie sich auch den globalen Überprüfungs- und Rechenschaftsmechanismen stellen.

Damit die Umsetzung weltweit in Schwung kommt, muss die 2030-Agenda mehr sein als eine Vereinbarung zwischen 193 Staaten. Sie muss in jedem Land auch zum innenpolitischen Thema werden, zu einem neuen Gesellschaftsvertrag zwischen jenen, die regieren und Pflichten haben und jenen, die regiert werden und Rechte haben. Damit würde die kopernikanische Wende nicht nur für Entwicklungspolitik gelten, sondern für unser gemeinsames, nachhaltiges Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand auf diesem Planeten.

Thomas Gass ist Beigeordneter UN-Generalsekretär in der UN-Hauptabteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten, Silke Weinlich ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Über die Autorin

Weinlich, Silke

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Weinlich

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