Die Doha-Runde ist tot – es lebe die WTO?

Die Doha-Runde ist tot – es lebe die WTO?

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Brandi, Clara
Die aktuelle Kolumne (2015)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne, 21.12.2015)

Bonn, 21.12.2015. Die zehnte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Nairobi endete am 19. Dezember nach langem Ringen und mehr als 24 Stunden später als geplant mit einer Reihe von Einigungen – und einem historischen Wendepunkt für die Doha-Runde: Einige Staaten haben sich erstmals offiziell für den Abbruch der 14 Jahre dauernden Doha-Verhandlungen ausgesprochen. Ob und wie die Themen der Doha-Runde in Zukunft auf der Verhandlungsagenda stehen, ist momentan noch ganz offen. Die WTO muss nun überlegen, wie Verhandlungen über neue Handelsregeln schneller vorangebracht werden können.

Auch wenn der große Wurf in Nairobi wieder einmal nicht gelungen ist, gab es Vereinbarungen, die zeigen, dass die WTO nach wie vor als Forum für multilaterale Verhandlungen funktionieren kann. WTO-Generaldirektor Roberto Azevedo lobte beispielsweise das Maßnahmenpaket für die Landwirtschaft und auch die EU nannte es einen „Meilenstein“. Durch die Einigung werden Exportsubventionen für landwirtschaftliche Produkte rund um den Globus abgeschafft. In den letzen Jahren war ein großer Doha-Durchbruch immer wieder an diesem Streit gescheitert.

Die letzte Woche zeigt damit: Multilaterale Einigungen zwischen den mehr als 160 WTO-Mitgliedern sind möglich. Auch der vor wenigen Tagen von fast 200 UN-Staaten beschlossene Weltklimavertrag hat unterstrichen, dass globale Kooperation funktionieren kann. Allen Zweiflern und Kritikern zum Trotz: Multilateralismus ist möglich!

Ende gut, alles gut? Leider nein. Während es in Nairobi ein paar Einigungen gab, haben sich die WTO-Verhandler trotz stundenlanger Nachtschichten nicht über die Zukunft der bisher erfolglosen Doha-Runde einigen können. Während die Entwicklungsländer weiter verhandeln möchten, plädierten die Industrieländer, vor allem die USA, für den Abbruch der Doha-Runde. In der Abschlusserklärung von Nairobi steht nun erstmals schwarz auf weiß, dass einige Mitgliedsstaaten nicht bereit sind, die Doha-Verhandlungen wie bis dato weiterzuführen.

Einerseits wäre es sehr bedauerlich, wenn die Doha-Entwicklungsrunde tatsächlich ohne Erfolg abgebrochen würde. Auf der anderen Seite sind die Gespräche schon lange völlig festgefahren und viele Themen auf der Doha-Agenda hat inzwischen die Zeit überholt. Ein offizielles Aus für die Doha-Runde könnte also auch Chancen bieten, verstärkt wichtige aktuelle Themen in den Blick zu nehmen und die Zukunft der WTO neu zu überdenken.

Ein möglicher neuer Ansatz bestünde darin, verstärkt auf plurilaterale Abkommen zu setzen, bei denen eine „Gruppe der Willigen“ in bestimmten Themenbereichen schneller vorangeht. Der plurilaterale Ansatz war unter anderem auch in Nairobi auf der Agenda: 53 WTO-Mitglieder haben das plurilaterale Information Technology Agreement (ITA) verabschiedet, in dem sie sich auf den Zollabbau bei über 200 IT-Produkten geeinigt haben. Für die vorangehenden Staaten bieten plurilaterale Teilpakete den Vorteil, dass sie rascher Fortschritte in den für sie relevanten Sektoren erzielen können.

Und was bedeuten die Abkommen für die Staaten, die nicht mitmachen? Die gute Nachricht beim Beispiel ITA ist: Nicht-Unterzeichnerstaaten können jederzeit dem Abkommen beitreten. Dazu gilt die WTO-Meistbegünstigungsklausel, so dass alle WTO-Mitglieder vom plurilateralen Abbau der Zölle für IT-Produkte profitieren können. Diese Eckpunkte gelten auch für das derzeit verhandelte Umweltgüter-Abkommen (Environmental Goods Agreement), durch das eine Reihe von Ländern ihre Zölle für Güter wie Luftfilter abbauen möchten. 

Für die Länder, die nicht dabei sind, stellt sich natürlich die Frage, ob das Vorpreschen einiger anderer Weichen für zukünftige Handelsregeln stellt, die nicht in ihrem Interesse sind. Sicher ist: Für diese Länder ist der Trend zum Plurilateralismus vielleicht nicht ideal, aber immer noch besser, als wenn es nur eine stetig wachsende Zahl megaregionaler Abkommen wie TTIP und TPP gibt, die ihnen weniger Beitrittsmöglichkeiten und auch weniger Handelsvorteile bieten.

Das Ende der Doha-Runde kann also durch eine Hinwendung zu mehr Plurilateralismus ein Momentum für neue Dynamik in der WTO bedeuten. Gleichzeitig wird das globale Handelssystem aber durch mehr und mehr bilaterale, regionale und plurilaterale Abkommen immer unübersichtlicher. Vor allem für kleinere Unternehmen in Entwicklungsländern ist es schwierig, sich in den immer komplexer werdenden Regelwerken zurechtzufinden. Die WTO sollte durch Transparenzinitiativen neues Licht in diesen Dschungel bringen.

Und die WTO sollte auch zukünftig als Verhandlungsforum genutzt werden, nicht zuletzt weil sie inklusiver ist als die derzeitig immer wichtiger werdenden bilateralen und regionalen Foren. Die Organisation wird auch künftig als erfolgreiche Streitschlichterin bei Handelskonflikten zentral bleiben. Wenn der plurilaterale Ansatz in der WTO weiter Schule macht, wird sie darüber hinaus aber auch als Forum für die Verhandlungen von Handelsregeln relevant sein, trotz megaregionaler Abkommen. Deutschland und die EU, aber auch die Schwellenländer, sollten sich daher dafür einsetzen, dass die WTO auch in der Zukunft ein wichtiger Pfeiler der globalen Wirtschaftsordnung bleibt.

Über die Autorin

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