Die aktuelle Kolumne
Die Unabhängigkeit des Südsudan: der Beginn eines langen, harten Weges zum Frieden
Furness, MarkDie aktuelle Kolumne (2011)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 17.01.2011)
Bonn, 17.01.2011. Voller Spannung sieht die internationale Gemeinschaft der bevorstehenden Geburt des jüngsten afrikanischen Staates entgegen. Dabei darf sie jedoch nicht unterschätzen, welche enormen Herausforderungen mit der Nationenbildung im Südsudan verbunden sind.
Das Referendum zur Frage, ob sich der Südsudan vom Rest des Landes abspalten soll, fand wie geplant vom 9. bis 15. Januar 2011 statt. Die Ergebnisse sollen Anfang Februar bekannt gegeben werden. Stimmt eine Mehrheit – was wahrscheinlich ist – für die Unabhängigkeit, wird sich der Süden nach einer sechsmonatigen Übergangsperiode vom Norden trennen.
Dabei sind die Erwartungen völlig überzogen. Zahlreiche westliche Kommentatoren vermitteln den Eindruck, die südsudanesischen Rebellen der Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) – die De-facto-Regierung des Südsudan – seien Freiheitskämpfer gegen die kriminelle Regierung in Khartum unter Präsident Omar al-Bashir und der Nationalen Kongresspartei (National Congress Party – NCP). Diesem Ammenmärchen folgend führt die SPLM ihr Volk in die schöne neue Welt von Staatlichkeit, Frieden und Aussöhnung zwischen dem afrikanischen Süden und dem arabischen Norden. Doch wie sind die Aussichten auf Stabilität und Wohlstand in einem unabhängigen Südsudan? Und wie kann die Staatengemeinschaft den neuen Staat am besten unterstützen?
Eine schwere Geburt
Ein unabhängiger Südsudan wird einer der fragilsten Staaten der Welt sein. Wesentliche Regelungen des 2005 unterzeichneten Umfassenden Friedensabkommens (Comprehensive Peace Agreement) sind nicht umgesetzt worden; zum Beispiel eine Vereinbarung über die Teilung der Öleinnahmen, die Demarkierung der Nord-Süd-Grenze und die Entwaffnung von Milizen in den Grenzregionen. Wahrscheinlich wird der noch ungeklärte Status der Provinz Abeyei zu lokaler Gewalt führen, wenn nicht gar den Krieg zwischen dem Norden und dem Süden wieder aufflammen lassen. Gewaltakte hatten bereits das Referendum überschattet.
Der Südsudan ist einer der am wenigsten entwickelten Orte der Welt. Einmal unabhängig, fängt das Land praktisch bei null an. Es muss erheblich in die Infrastrukturausstattung investiert werden, vor allem in Straßen und in die Wasser- und Stromversorgung. In dem Land – von der Größe Frankreichs – gibt es derzeit nur wenige Kilometer befestigte Straße und viele der unbefestigten Straßen sind während der Regenzeit nicht passierbar. Laut den Vereinten Nationen sind 85 Prozent der Erwachsenen Analphabeten und nur 2 Prozent der Kinder beenden die Grundschule. Ist die Unabhängigkeit erreicht, kann die SPLM nicht länger dem gemeinsamen Feind in Khartum die Schuld geben und „eingefrorene“ Konflikte zwischen Ethnien im Süden können erneut aufflackern, wenn die Enttäuschung über die souveräne Regierung in Juba wachsen sollte.
Bislang zeigt die SPLM weder die Fähigkeit noch den Willen, sich den enormen Herausforderungen, die auf sie zukommen, zu stellen. Die Bewegung bleibt im Wesentlichen eine militärische Organisation mit fragwürdiger demokratischer Legitimation. Einige öffentlich Bedienstete können kaum lesen und schreiben, Korruption ist weit verbreitet. Die SPLM nimmt schätzungsweise zwei Milliarden USD jährlich an Öleinnahmen ein. Mit einem Großteil des Geldes werden die Gehälter der öffentlichen Angestellten einschließlich der 140.000 Soldaten bezahlt. Obwohl die restlichen Mittel hauptsächlich für Waffen ausgegeben werden, ist die SPLM nur bedingt in der Lage, ihr Staatsgebiet zu kontrollieren. Die Bereitstellung von Gesundheitsdiensten und anderen öffentlichen Gütern überlässt man internationalen Hilfsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen.
Eine Nation am Tropf der internationalen Geber
Ein unabhängiger Südsudan wird viele Jahre internationale Hilfe benötigen, wenn ihm das Schicksal Eritreas, Kongos oder Somalias erspart bleiben soll. Die Gefahr, dass eine Implosion Südsudans die Region destabilisieren würde, ist vielen bewusst und so wird die Staatengemeinschaft ihr jüngstes Mitglied nicht sofort aufgeben. Regierungen aus Industrieländern, China und Afrika haben Khartum und Juba nachdrücklich aufgefordert um jeden Preis Frieden zu schließen und sie haben zugesagt, sich auch weiterhin zu engagieren.
Doch die Qualität dieses Engagements muss verbessert werden. Der Südsudan ist angewiesen auf eine besser abgestimmte internationale Strategie seitens aller Akteure, einschließlich China und Südafrika. Internationale Investoren und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sind seit dem Ende des Bürgerkriegs in Juba tätig und haben die Stadt innerhalb weniger Jahre in ein wild wucherndes Gebilde verwandelt. Die Koordinierung der Geber, besonders der verschiedenen im Südsudan aktiven Treuhandfonds, lässt zu wünschen übrig. Die SPLM hat zwar versucht, die Lage zu verbessern, indem sie eine eigene Entwicklungsstrategie formulierte. Doch ihre Möglichkeiten, Geber zur Zusammenarbeit zu bewegen, sind begrenzt.
Ohne Khartum geht es nicht
Khartum kommt im Nationenbildungsprozess des Südens eine zentrale Rolle zu. Präsident al-Bashir hat Bedenken zerstreut, die NCP würde versuchen, das Referendum zu stören. Stattdessen reiste er nach Juba und verkündete seine Absicht, das Ergebnis zu respektieren und den Süden zu unterstützen, falls dieser die Unabhängigkeit wünsche. Es wird sich zeigen, ob er Wort hält. Die NCP steht angeblich immer noch im Kontakt zur berüchtigten ugandischen Rebellengruppe Lord’s Resistance Army und kann als Drahtzieher hinter den Kulissen dafür sorgen, dass sich ethnische Spannungen im Süden verschärfen.
Gleichwohl liegt ein friedlicher Übergang im Südsudan in Khartums bestem Eigeninteresse. Denn das Öl aus dem Süden muss über die Raffinerien und Häfen des Nordens exportiert werden. Was bedeutet, dass die beiden Länder auf absehbare Zeit ökonomisch voneinander abhängig bleiben werden. Außerdem könnte ein hohes Maß an politischer Gewalt im Süden auf den Norden übergreifen, vor allem da die SPLM auch in Darfur, Süd-Kordofan und der Oberen Nilregion die Fäden ziehen könnte.
Die internationale Strategie zur Unterstützung eines unabhängigen Südsudan muss Khartum einen Anreiz bieten, den neuen Nachbarn im Süden zu unterstützen (oder zumindest ihn nicht aktiv zu untergraben). Der Köder der USA ist das Angebot, die Beziehungen zu normalisieren und den Sudan von der Liste der Staaten zu streichen, die Terrorismus unterstützen. Alle europäischen Schritte, die darauf abzielen Sanktionen zu lockern, Bewegung in die Finanzierung von Entwicklungsprojekten im nördlichen Sudan zu bringen und das heikle Thema der Anklage al-Bashirs vor dem Internationalen Strafgerichtshof anzugehen, müssen Teil dieses Pakets sein.
Damit Deutschland und die Europäische Union ihr Engagement verstärken und den politischen Dialog mit der Regierung in Khartum vertiefen können, müssen sie eine politische Kursänderung vornehmen. Europäische Entscheidungsträger müssen, wenn es um Präsident al-Bashir geht, nicht seine Person in den Mittelpunkt stellen, sondern darauf achten, dass die NCP das Tauwetter in den Beziehungen nicht für sich nutzt – vor allem mit Blick auf Darfur. Gleichwohl braucht es eine Zeit des Pragmatismus, wenn die Nationenbildung im Südsudan eine Chance bekommen soll.