Grüne Transition und die Rechte indigener Völker in der europäischen Arktis

Ein rechtebasierter Ansatz für die Umsetzung des europäischen Green Deal

Ein rechtebasierter Ansatz für die Umsetzung des europäischen Green Deal

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Nystø Keskitalo, Anja Márjá / Jacqueline Götze
Die aktuelle Kolumne (2023)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), (Die aktuelle Kolumne vom 06.02.2023)

Bonn, 6. Februar 2023. Der ökologische Wandel erfordert nicht nur bei der europäischen Arktis, sondern auch darüber hinaus eine Auseinandersetzung mit dem Thema der Gerechtigkeit. Denn nachhaltige politische Maßnahmen erfordern einen rechtebasierten Ansatz.

Als Schweden im Januar 2023 den Vorsitz im Rat der EU übernahm, besuchten Mitglieder der Europäischen Kommission Kiruna, die nördlichste Stadt des Landes und Standort der größten Eisenerzmine Europas. Während des Besuchs gab das staatseigene schwedische Bergbauunternehmen Luossavaara-Kiirunavaara Aktiebolag (LKAB) den Fund der bislang größten bekannten Lagerstätte für Seltene Erden in Europa bekannt. Im Rahmen der aktuellen Dekarbonisierungsstrategie der EU, dem European Green Deal (EGD), kommt der Erkundung kritischer Rohstoffe auf eigenem Boden eine zentrale Rolle zu. In diesem Sinne gelten die Ressourcen und Flächen der europäischen Arktis als Schlüssel für den Ausbau der erneuerbaren Energien und damit für die Verringerung der Emissionen und Abhängigkeit von externen Energiequellen. Dieses Vorhaben kann jedoch im Konflikt mit anderen Formen der Landnutzung stehen – ein Problem, das der EGD nicht ausreichend berücksichtigt. Da in der europäischen Arktis auch indigene Völker leben, muss die EU bei der Umsetzung des EGD einen rechtebasierten Ansatz verfolgen, um die Selbstbestimmung indigener Völker und ihre Landrechte auch innerhalb Europas zu gewährleisten.

Die EU präsentiert sich weltweit gerne als Vorreiterin bei der Bekämpfung des Klimawandels und der Förderung der Rechte indigener Völker in der Arktis und darüber hinaus. Diese Vorreiterrolle der EU wird sogar als Rechtfertigung für das EU-Engagement in der Arktis herangezogen, auch im Hinblick auf die selbst verursachten wirtschaftlichen und ökologischen Folgen in der Region. Bei dieser Argumentation wird allerdings allzu oft übersehen, dass Lösungen zur Eindämmung des Klimawandels, wie die Förderung erneuerbarer Energien und technischer Innovationen, indigenen Völkern schaden können, da die zunehmende Beanspruchung von Landflächen zu neuen Landnutzungskonflikten in der Arktis führen kann. Sápmi liegt zum Teil in der europäischen Arktis und erstreckt sich über die heutigen nördlichen Teile Norwegens, Schwedens, Finnlands und Russlands (Kola-Halbinsel). Sápmi ist der traditionelle Lebensraum der Sámi, des einzigen indigenen Volkes in der EU. Die Sámi sind Inhaber von Rechten in der europäischen Arktis, und die jeweiligen Nationalstaaten sowie die EU selbst sind verpflichtet, internationale Standards für die Rechte indigener Völker einzuhalten. Ein Schlüsseldokument in dieser Hinsicht ist zum Beispiel die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker (UNDRIP) von 2007, mit der das Prinzip der freien, vorherigen und informierten Zustimmung (FPIC) eingeführt wurde, welches die Selbstbestimmung indigener Völker im Zusammenhang mit Entwicklungsprojekten betrifft. Zwischen der Innen- und Außenpolitik der EU bestehen im Hinblick auf den Umgang mit indigenen Völkern jedoch Diskrepanzen. Auch wenn im EGD mögliche negative Spillover-Effekte der EU-Politik auf indigene Völker Eingang finden, fehlt ihm eine EU-interne Perspektive. Da die meisten Sámi Bürger*innen der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) sind, findet in ihrem Fall der im Europäischen Instrument für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) verankerte allgemeine entwicklungspolitische Rahmen für indigene Völker keine Anwendung.

Da es zur Zeit keine auf indigene Völker ausgerichteten EU-internen Richtlinien gibt, hängt es von den konkreten Maßnahmen und dem dafür zuständigen Personal oder der jeweiligen Institution ab, ob Vertreter*innen der Sámi in politische Prozesse einbezogen werden oder nicht – und in welcher Form und in welchem Umfang. Diese Beobachtung deckt sich weitgehend mit anderen Analysen, die die Rolle von Individuen in der allgemeinen Arktispolitik der EU betonen. Die EU-Arktispolitik betrifft hauptsächlich die Regionen rund um den Polarkreis. Es mangelt ihr jedoch an einem internen und regionalen Ansatz, der die europäische Arktis und ihre Entwicklung mit einschließen würde, was auch für den Fall der Rechte indigener Völker in der europäischen Arktis gilt. Die Auswirkungen des EGD auf indigene Völker innerhalb der EU können nur dann politisch angegangen werden, wenn eigens für die indigenen Völker in der europäischen Arktis erarbeitete Richtlinien mit dem EGD verknüpft werden.

Die fehlende Integration indigener Völker in die EU-Politik erschwert zudem eine inklusive und gerechte Umsetzung des EGD. Die Klimakrise wirft Gerechtigkeitsfragen auf: Die Menschen, die am wenigsten zur globalen Erwärmung und Umweltzerstörung beigetragen haben, sind oft am stärksten von den Auswirkungen betroffen. Im Rahmen des ökologischen Wandels stellen sich beim Thema Klimagerechtigkeit im Kontext der europäischen Arktis und darüber hinaus neue Fragen, da die angestrebten Lösungen zusätzlichen Druck auf indigene Völker ausüben. Sie leben von dem Land, das für den Schutz ihrer traditionellen Lebensgrundlagen, Sprachen und Kulturen entscheidend ist. Daher ist ein rechtebasierter Ansatz unumgänglich. Eigens für indigene Völker entwickelte politische Richtlinien, die die Landrechte der indigenen Völker berücksichtigen und mit dem EGD verknüpft sind, würden der EU Werkzeuge an die Hand geben, um sich kritisch mit den „Machtstrukturen hinter dem Klimawandel“ auseinanderzusetzen. Ohne einen solchen rechtebasierten Ansatz für die Umsetzung des EGD in Kiruna und darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Ergebnisse politischer Prozesse als ungerecht und damit als nicht nachhaltig wahrgenommen werden. Das würde verhindern, dass der EGD sein volles Potential entfaltet. Und es müsste angezweifelt werden, ob die EU tatsächlich einen sinnvollen Beitrag zur Erfüllung internationaler Vereinbarungen leistet.


Anja Márjá Nystø Keskitalo ist Geographin und arbeitet als Beraterin in der EU-Einheit des Saami Council.
Jacqueline Götze ist Politikwissenschaftlerin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprogramm „Inter- und transnationale Zusammenarbeit“ am German Institute of Development and Sustainability (IDOS).

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