Entwicklung mit oder ohne Frauen?

Entwicklung mit oder ohne Frauen?

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Scholz, Imme
Die aktuelle Kolumne (2010)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 08.03.2010)

Bonn, 08.03.2010. Fünfzehn Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking gehört die Aussage, dass dauerhafte Entwicklungserfolge nur mit der aktiven Teilhabe von Frauen möglich sind, zum Kernbestand der Entwicklungspolitik.

Warum? Nicht nur, weil die Gleichberechtigung der Geschlechter ein universelles Menschenrecht ist, sondern auch wegen der vielfältigen Potenziale, die Frauen in ihren Rollen und Funktionen für die gesellschaftliche Entwicklung haben. Und leider muss hier immer noch von Potenzialen gesprochen werden, weil viele Frauen durch Gesetze, Traditionen und eingeschränkte Mitspracherechte daran gehindert werden, ihre Fähigkeiten voll zu nutzen.

Worin bestehen diese Potenziale? Zunächst – wie bei Männern auch – in der Ausbildung, die Frauen genossen haben und die sie befähigt, über den Arbeitsmarkt oder eine selbständige Unternehmung ein Einkommen zu erwirtschaften und damit zu Konsum und Wachstum beizutragen. Empirische Untersuchungen haben darüber hinaus gezeigt, dass Frauen im allgemeinen ihr eigenes Einkommen (oder Haushaltseinkommen, über das sie mitentscheiden können) eher für die Bedürfnisse der Kinder ausgeben, also für deren Gesundheit und Bildung sorgen und damit einen wichtigen indirekten Entwicklungsbeitrag leisten.

Gehindert werden Frauen an der Entfaltung dieser Potenziale durch Barrieren in drei Bereichen: in vielen Gesellschaften haben Frauen nur einen eingeschränkten Zugang zu Bildung und Gesundheit. Dies schränkt ihre Teilhabe an Arbeits- und anderen Märkten ein. Es gibt aber auch Länder, in denen Frauen zwar Bildungsabschlüsse erwerben können, auch an Hochschulen, anschließend aber durch Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit daran gehindert werden, zu arbeiten. Schließlich ist die Entscheidungsfreiheit von Frauen auch über ihr eigenes Einkommen oder das des Haushalts, zu dem sie gehören, häufig begrenzt, sei es durch Gesetze (die auch in Deutschland erst in den 1960er Jahren abgeschafft wurden) oder durch Traditionen. Ohne diese Barrieren, so zeigen empirische Untersuchungen, geht es den Frauen und den Gesellschaften, in denen sie leben, besser.

Diese Sichtweise – Frauen zu fördern, weil sie einen wichtigen Entwicklungsbeitrag leisten und nicht, weil sie ein Recht auf Selbstbestimmung haben – wird auch als Instrumentalismus kritisiert. In der Praxis stehen diese Ziele aber häufig nicht gegeneinander, sondern verstärken sich. Praktische Verbesserungen der Lage der Frauen können auch politische Wirkung entfalten, und manchmal sind es Lösungen für ganz andere Probleme, die frauenpolitisch relevant werden können. So haben Kleinbäuerinnen in Malawi unter dem Druck des Klimawandels ihre tradierten Geschlechterrollen verändert und neue Handlungsmöglichkeiten erobert. Sie haben neue Anbauformen entwickelt und sich verändernde Regenperioden für eine zweite Maisernte genutzt. Außerdem haben sie sich neue Einkommensquellen jenseits traditioneller Rollenzuschreibungen erschlossen. Nicht selten führt dies dazu, dass die Vormacht der Männer, über das Geld und die Ressourcen des Haushalts zu entscheiden, schwindet. In einigen dörflichen Gemeinschaften Malawis werden nun kleinbäuerliche Anpassungsstrategien von Männern und Frauen gemeinsam getragen.

In der Entwicklungspolitik steht jedenfalls spätestens seit der Weltfrauenkonferenz von 1995 die Stärkung der Teilhaberechte von Frauen auf dem Programm. Aber welche praktischen Auswirkungen hat diese programmatische Entscheidung bisher gehabt? Wie kann sie für die Planung und Umsetzung von entwicklungspolitischer Zusammenarbeit und für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Frauen wirksam gemacht werden?

Untersuchungen zeigen, dass sich politische Bekenntnisse zum gender mainstreaming häufig im Prozess der Planung und Umsetzung entwicklungspolitischer Maßnahmen verflüchtigen. Caroline und Annalise Moser nennen dieses Problem in einem Aufsatz von 2005 „policy evaporation“ (Politikverdampfung), ein Phänomen, das auch in anderen Politikfeldern mit Querschnittscharakter bekannt ist, namentlich in der Umweltpolitik. Die meisten Entwicklungsorganisationen verfolgen einen dualen Ansatz, in dem sie sowohl gender mainstreaming anstreben (Geschlechtergleichheit als integrale Dimension aller Sektorpolitiken und Programme) als auch spezifische Aktivitäten zur Stärkung von Frauenrechten unterstützen. Dennoch ist die Wirksamkeit begrenzt.

Dafür gibt es viele Gründe. Zentral ist, ob die Leitung der Organisationen sich aktiv für Genderthemen einsetzt und damit deren Legitimität erhöht. Wichtig ist aber auch, Genderexpertise dauerhaft im festen Mitarbeiterstab aufzubauen und nicht vor allem Gutachterinnen und Gutachter zu beschäftigen. Genderfragen werden auch nach wie vor zu häufig getrennt und nicht integriert behandelt.

Die Geschlechterdimension angemessen in Lösungsansätze für konkrete Probleme einzubeziehen, ist in der Tat anspruchsvoll. Denn es geht darum, die allgemeine Aussage, dass die Politik eine Geschlechterperspektive in allen Bereichen braucht, in konkrete Aussagen zur Geschlechterdimension von spezifischen Problemen, ihren Ursachen und Wirkungen umzusetzen. Je nach länderspezifischem Kontext und je nachdem, um welches Problem es sich handelt, muss der Genderbezug immer wieder neu hergestellt werden. Dazu braucht es Gender-, Fach- und Länderexpertise, die teilweise schwer aufzufinden ist und stets aktualisiert werden muss. Insofern ist gender mainstreaming ein steter Prozess und kein Ziel, das irgendwann definitiv erreicht sein kann und wird.

Die Weltbank zeigt, wie konkrete Fortschritte erreicht werden können. Der Gender Action Plan (GAP) der Weltbank sieht Mittel vor, mit denen Weltbankmitarbeiterinnen und -mitarbeiter auf Wunsch genderspezifische Wissenslücken schließen oder Aspekte der Gleichstellung in die Projektarbeit integrieren können. In der Folge ist die Zahl genderspezifischer Forschungsarbeiten, Statistiken und Wirkungsanalysen gestiegen. Diese Möglichkeit, konkrete Fragen mit Genderbezug zu stellen und zu beantworten, sollte dauerhaft bestehen und nicht an die Laufzeit des GAP gebunden werden. Ähnlich positive Erfahrungen hat die Europäische Kommission mit einem (leider ebenfalls befristeten) environmental help desk gemacht, das Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim environmental mainstreaming zur Seite stand.

Gestärkt wurde der GAP durch die Entscheidung des Weltbankpräsidenten Robert Zoellick, die Weltbank 2007 öffentlich auf das Erreichen von genderrelevanten Zielen zu verpflichten. Als größte Entwicklungsorganisation sollte die Weltbank diesen Weg konsequent weiter gehen, wenngleich es Widerstände dagegen – und nicht nur von Saudi Arabien – gibt. Wichtig sind daher deutliche Signale auch in der bilateralen EZ. Das BMZ hat diese Chance mit der Umsetzung des Genderaktionsplans 2009-2012.

Über die Autorin

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