Frieden in der Welt: was kann die EU wirklich leisten?

Frieden in der Welt: was kann die EU wirklich leisten?

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Leininger, Julia / Solveig Richter
Die aktuelle Kolumne (2012)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 10.12.2012)

Bonn, Berlin, 10.12.2012. Das norwegische Nobelkomitee trotzt im Jahr 2012 den Untergangsszenarien, die in der aktuellen Finanz- und Schuldenkrise wie ein Damoklesschwert über dem europäischen Integrationsprojekt schweben. Stattdessen ruft es in Erinnerung, dass die Transformation Europas von einem Kontinent des Kriegs zu einem Kontinent des Friedens die größte Errungenschaft der Europäischen Union (EU) darstellt. Dies gilt auch und gerade in Zeiten der Krise. Bei seiner Begründung wendet das Komitee seinen Blick einerseits ins europäische Innere: Ehemalige Erzfeinde wie Frankreich und Deutschland haben sich dauerhaft zu Freunden und engen Partnern entwickelt, die Teilung von Ost und West wurde überwunden. Andererseits kommt auch der Außenpolitik der EU eine wichtige Rolle zu: Die EU-Erweiterungspolitik trage zu Versöhnung im Balkan bei; auch in die europäische Nachbarschaft wirke die EU und trage damit zur Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten bei. So scheint es kein Zufall, dass die Nobelpreisverleihung am heutigen 10. Dezember genau mit dem internationalen Tag der Menschenrechte zusammenfällt.

In der Tat hat sich die EU nie stärker zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten in der Welt bekannt als in den letzten beiden Jahren: Beispielsweise verabschiedete der Europäische Rat im Juni 2012 ein Strategiepapier, das Demokratie und Menschenrechte zum obersten Ziel europäischer Außenpolitik erklärt. Etliche Kooperationsabkommen, z. B. die Zusammenarbeit mit den Staaten Sub-Sahara Afrikas, des Pazifiks und der Karibik, fußen auf der Einhaltung demokratischer und menschenrechtlicher Standards. Auf programmatischer Ebene scheint es die EU also tatsächlich ernst zu meinen mit der Unterstützung von Menschenrechten und Demokratie. Doch wie sieht es in der Realität aus?

Große Ambitionen, schwache Umsetzung
Drei Gründe legen nahe, dass eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der EU-Außenpolitik klafft.

Erstens war die EU-Außenpolitik in der Vergangenheit von Doppelstandards geprägt: Demokratie und Menschenrechte wurden vor allem dann von der EU intensiv gefördert, wenn sie geringe geopolitische oder wirtschaftliche Interessen hatte. Sobald es um natürliche Ressourcen wie Öl oder Sicherheitsbelange ging, hat die EU auch mit diktatorischen und menschenrechtsverletzenden Regimen kooperiert. Beispielsweise hat sie von einer Kürzung der Unterstützung von Kasachstan oder Usbekistan abgesehen – und dies, obwohl es zu offensichtlichen und schweren Menschenrechtsverletzungen kam. Auch gegenüber Ägypten scheint die EU ein größeres Interesse an der Stabilität der jungen Regierung zu haben als an der Durchsetzung von Normen und Werten. Die Haltung der EU angesichts der Attacken auf NGOs, Stiftungen und koptische Christen zeigen, dass Menschenrechte nur an zweiter Stelle standen. Zwar hat die EU immer wieder zur Respektierung von Rechtsstaatlichkeit aufgerufen und die wichtige Bedeutung der Zivilgesellschaft betont, aber letztlich keine glaubwürdigen Sanktionen angedroht. Dies widerspricht einmal mehr den Zielen der Nachbarschaftspolitik der EU, die sich in der Euphorie des Arabischen Frühlings letztes Jahr auf die Fahnen geschrieben hat, Demokratie in der Region zu fördern.

Zweitens schlägt sich die EU-Finanzkrise mittlerweile deutlich in der EU-Außenpolitik nieder: Mitgliedsstaaten sind in schwierigen Zeiten weniger bereit, in außen- und entwicklungspolitische Aufgaben zu investieren. So sieht der jüngste Kommissionsvorschlag für den EU-Haushalt für die kommenden sieben Jahre Mittelkürzungen von 13 % in der Entwicklungszusammenarbeit vor – eines der wichtigsten Politikfelder für Demokratie- und Menschenrechtsförderung in der EU. Auch der im Juni neugegründete Europäische Demokratiefonds hat Schwierigkeiten, finanzielle Unterstützung aus den Mitgliedstaaten zu erhalten. Wenngleich die Kosten für die externe Unterstützung von Demokratisierung und Menschenrechtsschutz geringer sind als in anderen Bereichen wie Infrastrukturmaßnahmen, kann die EU ihre hohen normativen Zielsetzungen nicht ohne eine nachhaltige Finanzierung erreichen.

Drittens ist die außenpolitische Maschinerie der EU noch weit davon entfernt, eine gemeinsame Politik aller EU-Staaten zu ermöglichen – gerade gegenüber Autokratien oder Transitionsländern. Zwischen dem neugegründeten Europäischen Auswärtigen Dienst und der EU-Kommission, die alle Projekte managt, bestimmt weiterhin zumeist Konkurrenz statt Kooperation das Tagesgeschäft. Viel zu oft verfolgen die EU-Mitgliedsländer eigene Interessen auf bilateralem Wege und sprechen nicht mit einer Stimme. Exemplarisch dafür ist auch Deutschland: Nur wenige Tage nach Verkündung der Entscheidung des Nobelpreiskomitees forderte Bundestagspräsident Norbert Lammert öffentlich einen Stopp der EU-Erweiterung, vor allem Richtung Südosteuropa, da zunächst die Konsolidierung der Gemeinschaft zu erledigen sei. Damit stellt er sich nicht nur gegen sämtliche EU-Ratsbeschlüsse. Er höhlt auch die Glaubwürdigkeit der Beitrittsperspektive weiter aus, die für die EU das wichtigste Instrument zur Stabilisierung der fragilen Länder Südosteuropas ist.

Die EU muss glaubwürdig bleiben
Diese Lücken zwischen Wunsch und Wirklichkeit machen eigentlich wenig Hoffnung, dass die EU ihren eigenen Worten Taten folgen lässt und in Zukunft effektiv Menschenrechte und Demokratie fördern wird. Wenn es die EU ernst meint, muss sie die Kohärenz und Glaubwürdigkeit ihrer eigenen Außenpolitik wahren. Dafür ist es zentral, dass die EU eine nachhaltige Finanzierung sichert. Mittelkürzungen, etwa in der Entwicklungszusammenarbeit, wären nicht nur ein falsches Signal an Partner in aller Welt, sondern auch ein Rückschritt für die Demokratie- und Menschenrechtsagenda der EU. Ein Schlüssel liegt auch in der Hand der Mitgliedstaaten, die eigene kurzfristige Interessen stärker dem langfristigen Ziel von Frieden, Demokratie und Menschenrechten unterordnen müssten. Sie sollten anerkennen, dass die Investition in Normen und Werte sich lohnt – auch aus wirtschafts- und sicherheitspolitischer Perspektive. Schließlich führen demokratische Staaten untereinander keine Kriege und kooperieren besser miteinander als andere Länder.

Die aktuelle Kolumne „Frieden in der Welt: Was kann die EU wirklich leisten?“ erscheint zeitgleich in der Reihe „Kurz gesagt“ der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Über die Autorin

Leininger, Julia

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