Soziale Gerechtigkeit bedeutet auch Impfgerechtigkeit

Für eine global gerechte Impfstoffversorgung

Für eine global gerechte Impfstoffversorgung

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Strupat, Christoph
Die aktuelle Kolumne (2022)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 21.02.2022

Nach wie vor sichern sich die Hocheinkommensländer den Großteil der produzierten Impfstoffe. In vielen Niedrigeinkommensländern reicht der Impfstoff nicht einmal für besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen. Während der Anteil der geimpften Bevölkerung in den meisten Ländern mit hohem Einkommen bei über 70 % liegt, beträgt er in afrikanischen Ländern aktuell 11 %. Und diese Schieflage setzt sich fort: Aktuell sind rund 60 % aller Impfungen weltweit sog. Booster, sprich „Drittimpfungen“. Die weltweite Impfstoffproduktion konnte im Laufe des Jahres 2021 deutlich gesteigert werden und wird nach Prognosen von UNICEF im Jahr 2022 noch einmal vervierfacht. Da dennoch ein Jahr nach Einführung von COVID-19-Impfstoffen die globale Verteilung der Impfstoffe immer noch sehr ungleich ist, besteht die Frage, warum nicht alle Möglichkeiten zur Steigerung der weltweiten Impfstoffproduktion ausgeschöpft werden. Denn soziale Gerechtigkeit, gemäß des gestrigen Welttags der sozialen Gerechtigkeit, muss im Jahr 2022 auch Impfgerechtigkeit bedeuten.

Ein Weg, um globale Impfgerechtigkeit zu erreichen, ist die zeitlich begrenzte Freigabe von Patenten für Impfstoffe („Waiver“). Diese wird seit Oktober 2020 von einer mittlerweile großen Mehrheit von Staaten im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) unterstützt. Die Hauptargumente für die Freigabe der Patente sind naheliegend: Erstens wurde die beschleunigte Entwicklung von wirksamen Impfstoffen nicht allein durch privatwirtschaftliche Investitionen möglich. Sowohl in Nordamerika als auch in Europa wurde sie durch hohe öffentliche Ausgaben unterstützt. Zweitens handelt es sich bei COVID-19 um eine globale Pandemie mit anhaltend hohen Todesraten. Sie stellt einen Fall „höherer Gewalt“ dar, was auch nach den WTO-Regeln ein vorübergehendes Aussetzen der Rechte am geistigen Eigentum rechtfertigt.

Die Gegner eines solchen Schritts argumentieren, dass ein Waiver einen negativen Anreiz für private Investitionen in Impfstoffe darstellen würde. In Zukunft würden dadurch Investitionen ausbleiben und weniger Impfstoffe zur Verfügung stehen. Zudem würden mittlerweile genügend Impfstoffe produziert, das Problem liege eher in der Verteilung, Logistik und der Impfbereitschaft.

Die Gegner haben teilweise recht, eine Patentfreigabe würde nicht automatisch zur globalen Impfgerechtigkeit beitragen. Viele weitere Herausforderungen, wie der Aufbau von Produktionsprozessen, der Wissens- und Technologietransfer, müssten ebenfalls bedacht werden. Eine Freigabe ist aber ein notwendiger Baustein, um die Impfstoffproduktion in Niedrigeinkommensländern zu steigern. Bislang hat nur ein Unternehmen, Moderna, seine Rezeptur für den mRNA-Impfstoff veröffentlicht und eine zeitlich begrenzte Patentverzichtserklärung an ihrem mRNA-Präparat abgegeben.

Bedauerlich ist, dass die Anbieter von Impfstoffen nicht auf die frühzeitig in der Pandemie vorgeschlagenen Patentpoollösungen eingegangen sind, basierend auf dem 2010 von der Internationalen Fazilität zum Kauf von Medikamenten (UNITAID) gegründeten Medicines Patent Pool (MPP). Der MPP ist eine von den Vereinten Nationen unterstützte Gesundheitsorganisation, die sich für einen besseren Zugang zu lebensrettenden Medikamenten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen einsetzt und deren Entwicklung fördert.

Länder, in denen Impfstoffproduzenten ansässig sind und die öffentlich Mittel erhalten haben, sollten Unternehmen daher auffordern, ihre Patente in den MPP einzubringen. Dies würde basierend auf den Statuten des MPP freiwillig sein. Wichtig ist, dass sich die Kooperation nicht auf die Weitergabe der chemischen Rezepturen beschränkt, sondern einen aktiven Wissenstransfer (z.B. über die Lieferketten) und Technologietransfer für den Aufbau einer hochwertigen Massenproduktion beinhaltet. Wissenschaftler*innen haben vor kurzem eine Liste mit 120 Firmen in aller Welt veröffentlicht, die mRNA-Impfstoff herstellen könnten, wenn sie die Technologie bekämen. Freiwillige Patentvergaben verbunden mit Technologie- und Wissenstransfer sind die nachhaltigste Lösung, um die Impfstoffproduktion zu steigern und mittelfristig zur Impfgerechtigkeit beizutragen.

Erste Schritte in diese Richtung gibt es bereits. So baut die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeinsam mit dem MPP und verschiedenen südafrikanischen Unternehmen einen ersten mRNA-Technologie-Hub in Südafrika auf. Dieser soll ein Forschungs- und Trainingszentrum für ganz Afrika und darüber hinaus werden. Auf Basis des mRNA-Impfstoffs von Moderna soll in diesem Zentrum der mRNA-Impfstoff in Bezug auf neue COVID-19 Virusvarianten angepasst werden. Der neu angepasste Impfstoff würde dann nicht patentiert, sondern soll eine Open-Source-Technologie sein. Wichtig dabei: Diese Open-Source-Technologie würde zukünftig auch für weitere mRNA-Impfstoffe gegen HIV, Tuberkulose und Malaria genutzt werden und zum ersten Mal vielen afrikanischen Ländern erlauben, eigene Impfstoffe zu produzieren.

Es ist wichtig, dass sich nun weitere Impfstoffhersteller an den mRNA-Hubs beteiligen und den nötigen Technologie- und Wissenstransfer unterstützen. Hier sollte man den derzeit hohen internationalen Druck nutzen, um mehr Unternehmen zu überzeugen. Des Weiteren sollte die bereits bestehende Unterstützung der Hubs durch die internationale Entwicklungszusammenarbeit deutlich ausgeweitet werden. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund, dass die mRNA-Hubs nicht nur für COVID-19 Impfungen, sondern mittelfristig auch für andere Impfstoffe eine wichtige Rolle spielen. Wenn es nicht gelingt, die gesamte Welt mit Impfstoffen zu versorgen, werden wir eine sozial gerechtere Welt in absehbarer Zeit nicht erreichen.

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Strupat

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