Kooperation ist die Mutter aller Dinge: was hindert uns, Globalisierungsprobleme zu lösen?

Kooperation ist die Mutter aller Dinge: was hindert uns, Globalisierungsprobleme zu lösen?

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Guarin, Alejandro / Dirk Messner / Silke Weinlich
Die aktuelle Kolumne (2012)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 04.06.2012)

Bonn, Duisburg, 04.06.2012.Könnte es sein, dass die Globalisierung die internationalen Organisationen, die Regierungen und uns Menschen systematisch überfordert? Die internationale Finanzmarktkrise hat die Grenzen nationaler Regulierungssysteme dramatisch deutlich gemacht, doch es gelingt noch nicht einmal, eine handlungsfähige europäische Finanzmarktaufsicht zu schaffen. Die Euro-Krise bringt die Europäische Union nach über einem halben Jahrhundert gemeinsamer Kooperationserfahrung an die Grenzen der Belastbarkeit. Renationalisierungsstimmen werden immer lauter. Die Welthandelsorganisation (WTO) macht seit über einer Dekade keine Fortschritte mehr. Der frühere EU-Handelskommissar Mandelson warnte am Pfingstmontag, in der WTO sei es „fünf vor zwölf“, und WTO-Generaldirektor Pascal Lamy sprach von einer „Krise“, auch wenn noch kein Grund zur „Panik“ bestünde. Für die globale Umweltpolitik sieht es nicht besser aus. Obwohl ein weltweiter Konsens über die Gefahren des Klimawandels und die enger werdenden Grenzen des Erdsystems besteht, treten die Klimaverhandlungen seit Jahren auf der Stelle und die Erwartungen an den Erdgipfel in Rio de Janeiro im Juni 2012 sinken.

Das nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene internationale System scheint den Anforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gewachsen zu sein. Statt globaler Kooperation machen sich eher nationale Egoismen, Verteilungskonflikte und Machtspiele in der Weltpolitik breit. Machiavelli und Thomas Hobbes scheinen sich gegen Kant durchzusetzen, der schon 1784 den Begriff der Weltbürgergesellschaft prägte. Bringt die Globalisierung erneut zu Tage, was die klassische ökonomische Theorie schon lange predigt? Dass Menschen nämlich egoistische Wesen sind, damit beschäftigt, ihre Eigeninteresse zu optimieren. Auch die realistische Schule der internationalen Beziehungen könnte sich bestätigt fühlen. Staaten gelten hier als Akteure, die in der anarchischen Welt des internationalen Systems ihre nationalen Interessen zu maximieren trachten. Scheitern die Menschen an ihrer eigenen Natur?

Das Egoismusprinzip als „menschliche Natur“?
In einer Kolumne der New York Times schreibt David Brooks 2007: „Der Informationsgehalt unserer Gene, die Beschaffenheit unserer Neuronen und die Lehre der Evolutionsbiologie – das alles lässt keinen Zweifel daran, dass die Natur von Konkurrenz und Interessenkonflikten bestimmt wird.“ Die erfolgreiche russisch-amerikanische Schriftstellerin Ayn Rand verbreitet in ihren Romanen die gleiche Botschaft. Für moralische Verpflichtungen zwischen Menschen und für Kooperation hat sie nur Hohn und Spott übrig. Egoismus sei der Antrieb der Menschen, Verpflichtung habe jeder Mensch nur sich selbst gegenüber. Neu ist diese Sicht auf die Welt nicht. Schon im 19. Jahrhundert beschrieb der britische Philosoph Herbert Spencer das Leben der Menschen und Staaten als nimmer endenden Kampf, in dem es um das „Überleben der Tüchtigsten“ gehe.

Kooperation als Motor menschlicher Entwicklung
In Zeiten allgegenwärtiger Kooperationsblockaden in der Weltpolitik erlebt die Theorie der per se konfliktiven „Natur“ der Menschen und ihrer Institutionen eine Renaissance. Dem Stand der Forschung entspricht sie nicht. Der Biologe, Ethnologe und Evolutionsforscher Frans de Waal hat in vielen Arbeiten gezeigt, dass die Menschen, seit der homo sapiens vor etwa 200.000 Jahren entstand, zum Überleben in hohem Maße aufeinander angewiesen sind. Alle Menschen bedürfen im Laufe ihres Lebenszyklus als Junge, Alte, Kranke der Unterstützung durch andere. Die einzigartige Fähigkeit zur Kooperation, die sich bei unseren Vorfahren herausbildete, hat ihnen erlaubt, in unerforschte Gegenden zur Suche nach Nahrung und Ressourcen vorzudringen, und, entscheidend, koordiniert große Tiere zu jagen. Kooperation zum wechselseitigen Vorteil, also Reziprozität, ist ein Grundbaustein menschlicher Existenz. Menschen sind daher aus der Sicht de Waals vor allem Herdentiere und soziale Wesen. Sie lassen sich entweder als hochkooperative Wesen beschreiben, die bemüht sind, egoistische Triebe in den Griff zu kriegen, oder als extrem kompetitive Tiere, die trotzdem um Ausgleich bemüht sind – weil sie ansonsten als Art nicht überlebensfähig gewesen wären. Michael Tomasello, Direktor des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie, kommt zu ähnlichen Erkenntnissen. Die einzigartige Stellung der Menschen im Tierreich erklärt er mit deren Kooperationsfähigkeit. Gemeinsame Ziele, gemeinsames Wissen, geteilte Überzeugungen, die Fähigkeit zur „Wir-Intentionalität“ sind die Grundlagen der kulturellen Erfolgsgeschichte der Menschheit. Kooperation wurde im Prozess der Menschheitsgeschichte zu einem Anpassungsvorteil. Scheitert menschliche Kooperation in signifikanter Größenordnung, kommt es zu Zivilisationsbrüchen, Kriegen, Krisen. Grundlage der Kooperation ist nicht zuletzt die Fähigkeit zur Empathie, auf die Theodor Lipps (1851-1914) schon hingewiesen hatte. Wenn wir einen Hochseilartisten beobachten, halten wir unwillkürlich den Atem an, wir teilen sein Erleben. Aus all diesen Perspektiven ist das Menschenbild des nutzenmaximierenden Egoisten eine ziemlich dürftige Karikatur der Evolution der Menschheitsgeschichte.

Die Kooperationsfähigkeit der Menschen wird auch von den Sozialwissenschaften bestätigt. Die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat in vielen Studien über erfolgreiche und gescheiterte Versuche des Schutzes von Gemeinschaftsgütern wie Wäldern, Fischbeständen und Wasserressourcen die Bedingungen von Kooperation herausdestilliert: Kommunikation, Vertrauen, Reputation, reziprokes Verhalten, die Anpassung an gemeinsam entwickelte Regelwerke, sich entwickelnde Wir-Identitäten und Instrumente zur Bestrafung opportunistischen Verhaltens sind die Grundlagen gelingender Kooperation. Der „Naturzustand“ der Menschen ist also nicht rücksichtsloser Wettbewerb und Konflikt. Kooperation ist möglich. Sie kann aber auch scheitern, wenn sie nicht durch geeignete Institutionen gestützt wird.

Globale Kooperation und der Faktor Zeit
Doch warum entstehen zu Beginn des 21. Jahrhunderts die notwendigen Institutionen zur Bewältigung der globalen Systemrisiken nicht? Die natur- und verhaltenswissenschaftlichen Evolutionstheorien können darauf eine Antwort geben. Globalisierung, Klimawandel, Kipp-Punkte im Erdsystem, Menschheitsherausforderungen werden erst seit wenigen Jahren und Dekaden diskutiert. Die Erfahrung der Menschen, dass sie nicht nur lokal und in nationalen Gesellschaften aufeinander angewiesen sind, sondern de facto eine globale Risikogemeinschaft darstellen, ist menschheitsgeschichtlich ziemlich neu. So neu, dass es eine sozialwissenschaftliche Theorie der Weltgesellschaft bisher nur in Ansätzen gibt. Kooperation war der Schlüssel zum Erfolg der Spezies homo sapiens in seiner frühen Evolutionsgeschichte. Werden die Menschen, bevor es zu gravierenden globalen Systemkrisen kommt, lernen, ihr evolutionäres Erfolgsprogramm als soziale Herdentiere und kooperationsfähige Wesen auf die Ebene der Weltgesellschaft zu übertragen? Und wie ließe sich dieser Lernprozess beschleunigen? Lassen sich „Wir-Intentionalitäten“ global up scalen? Können Menschen Empathie im Rahmen der Weltgesellschaft entwickeln? Können die neuen Kommunikationstechnologien dabei helfen?

Die sozialwissenschaftlichen Kooperationstheorien geben ebenfalls gute Hinweise darauf, weshalb internationale Kooperation derzeit nicht gut funktioniert. Wegen der radikalen Machtverschiebungen in der Welt, stehen zentrale Bedingungen für erfolgreiche Kooperation unter großem Stress oder müssen überhaupt erst entwickelt werden. Ein Blick auf die G20-Formation macht den Unterschied zu den an Macht verlierenden westlichen Clubs – von der G7 bis hin zur NATO – schnell deutlich: Vertrauen, dichte Kommunikationsmuster, Reputation, Wir-Identitäten, gemeinsame Regelwerke und Lernprozesse müssen zwischen den alten und den neuen Mächten überhaupt erst aufgebaut werden. Ob diese Investitionen in die Grundpfeiler globaler Kooperation schnell genug erfolgen, um tiefe Globalisierungskrisen zu vermeiden und wie wirkungsvolle Institutionen zur Bearbeitung der Weltproblem aussehen müssten, sind keine trivialen Fragen

Ob und wie ein globales Zivilisationsmodell entstehen kann, das auf weltweiter Kooperation basiert und Konflikte einzuhegen in der Lage wäre, wird das Käte Hamburger Kolleg „Politische Kulturen der Weltgesellschaft“ („Centre for Global Cooperation Research“) in den kommenden Jahren untersuchen. Das Kolleg fühlt sich vier Grundprinzipien verpflichtet: radikaler Interdisziplinarität, der Zusammenführung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus allen Weltregionen, der Interaktion mit Praktikern aus der internationalen Kooperation und der Perspektive des Weltblicks als Grundlage der Forschung.

Alejandro Guarín ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).
Dirk Messner ist Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und Co-Direktor des Käte Hamburger Kollegs „Politische Kulturen der Weltgesellschaft“.
Silke Weinlich ist Leiterin der Forschungseinheit „The (im)possibility of cooperation“ am Käte Hamburger Kolleg „Politische Kulturen der Weltgesellschaft“ an der Universität Duisburg-Essen

Ebenfalls an dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Kolleg beteiligt sind das Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen und das Kulturwissenschaftliche Institut Essen (KWI).

Über die Autor*innen

Messner, Dirk

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