Blau oder Grün?

Mit welchem H2 gelingt der Aufbau einer globalen Wasserstoffökonomie?

Mit welchem H2 gelingt der Aufbau einer globalen Wasserstoffökonomie?

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Stamm, Andreas / Rita Strohmaier / Ece Oyan
Die aktuelle Kolumne (2023)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 16.10.2023

Im September veröffentlichte die Internationale Energieagentur (IEA) den Global Hydrogen Review 2023. Zeitgleich diskutierte der Deutsche Bundestag die von der Bundesregierung beschlossene Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie. Beide Dokumente standen Ende September im Mittelpunkt des vom Projekt HYPAT veranstalteten zweiten Berliner Dialogforums.

Aus beiden Dokumenten wird deutlich, dass die globale Wasserstoffökonomie vor entscheidenden Weichenstellungen steht, damit der Hochlauf gelingen kann. Dies noch dazu unter fairen Bedingungen. Die IEA weist im Review 2023 sehr nachdrücklich darauf hin, dass die überaus ambitionierten Ziele einer Vielzahl von Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern nicht im Verhältnis zu den tatsächlich in der Umsetzung befindlichen Projekten stehen. Die Pipeline an Projekten zur Produktion von klimafreundlichem Wasserstoff ist zwar lang, aber nur für 4% liegen aktuell zumindest finale Investitionsentscheidungen vor. Währenddessen erhöht die deutsche Wasserstoffstrategie die eigenen Ambitionen bzgl. des Markthochlaufs, indem sie das Ziel der Eigenerzeugung verdoppelt und sich gleichzeitig zur Notwendigkeit eines großskalierten Imports aus verschiedenen Weltregionen bekennt.

In beiden Papieren wird der Einsatz von Wasserstoff (H2) auf Basis fossiler Energieträger unter Abscheidung, Nutzung und Speicherung des anfallenden CO2 (Carbon Capture Utilization and Storage, CCUS) als eine Brückentechnologie zu vollkommen emissionsfreiem, „grünem“ H2 diskutiert. Kann „blauer“ H2 die aktuelle Hemmung beim Markthochlauf lösen und welche Konsequenzen hätte der forcierte Einsatz für Entwicklungsländer? Drei Argumente sprechen dafür, dass blauer H2 schneller dazu führen kann, dass z.B. in der Schwerindustrie die Nutzung von Öl, Gas und Kohle durch klimafreundlichen H2 ersetzt wird.

Erstens die Kosten: Nach IEA lagen die Kosten für blauen H2 2021 bei US$ 1,5 - 3,6 je kg, und für per Elektrolyse gewonnenen grünen H2 bei US$ 3,4 - 12 je kg. Zwar gehen Szenarien davon aus, dass etwa bis 2030 Kostenparität zwischen beiden „Farben“ erreicht wird, jedoch ist dies mit hohen Unsicherheiten verbunden. Zweitens kann die Erstellung und Wartung von Fabriken für die Erzeugung von blauem H2 in vielen Ländern auf einen etablierten Anlagenbau zurückgreifen, da häufig Komponenten genutzt werden, die in anderen Industrien seit Jahrzehnten verwendet werden. Drittens und für Deutschland relevant ist die Tatsache, dass blauer H2 in großem Maßstab aus der europäischen Peripherie oder Nachbarschaft (Norwegen, Großbritannien, Mittlerer Osten) bezogen werden kann und mittelfristig per Pipeline.

Ob eine stärkere Berücksichtigung von blauem H2 klimapolitisch gut ist oder nicht, kann nur vom Ende her gedacht und bewertet werden. Gelingt es den Wasserstoffhochlauf massiv zu beschleunigen und mittelfristig auf grünen H2 überzugehen, kann die Nettobilanz gut sein. Blauer H2 ist aber nicht emissionsfrei. Problematisch sind vor allem Methanemissionen am oberen Ende der Kette, also bei der Gewinnung und dem Transport von Erdgas. Das Risiko eines „Lock-Ins“ ist gegeben: Hat sich erst einmal eine funktionierende blaue Wasserstoff- und CCUS-Industrie herausgebildet, wird es schwer werden, den Umstieg auf die klimapolitisch erste Wahl des grünen H2 zu bewerkstelligen.

Deutschland sollte frühzeitig Strategien entwickeln, um das Ziel einer grünen und nicht blauen Wasserstoffökonomie zu verfolgen. So sollten künftige Wasserstoffpartnerschaften mit Drittländern durchwegs elektrolytisch erzeugten Wasserstoff priorisieren. Große Abnehmer von klimafreundlichem H2 sollten ihre Bereitschaft zeigen, einen Teil der Mehrkosten von grünem gegenüber blauem H2 in der Übergangsphase zu tragen, da es auch in ihrem Interesse ist, langfristig eine von fossilen Energieträgern unabhängige Wasserstoffversorgung zu sichern. Dies kann jedenfalls von denjenigen Unternehmen erwartet werden, deren Umrüstung auf H2-geeignete Technologien massiv von der öffentlichen Hand gefördert wird, beispielsweise aktuell dem Stahlhersteller Thyssen-Krupp. Es sollte geprüft werden, ob der verbleibende Teil des Preisdifferentials – in einer international koordinierten Anstrengung - durch öffentliche Gelder überbrückt werden kann. 

Entwicklungsländer, die ausschließlich grünen H2 erzeugen können und auf den Schifftransport angewiesen sind, könnten kurzfristig zu den Verlierern gehören, da sie mit blauem H2, der mittelfristig noch dazu per Pipeline transportiert wird, preislich nicht mithalten können. Für sie wird die Nutzung von grünem H2 im Inland eine wichtige Perspektive werden. Auch hierfür sollte Deutschland und Europa Unterstützung anbieten, beispielsweise durch Technologietransfer und Wissenschaftskooperation und mit dem Ziel, die Energiewende in Entwicklungsländern zu unterstützen.

Über die Autor*innen

Stamm, Andreas

Geograph

Stamm

Strohmaier, Rita

Wirtschaftswissenschaften

Strohmaier

Oyan, Ece

Politikwissenschaft

Oyan

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