Wissenshierarchien abbauen

Warum die Welt globale Governance für Wissenschaftskooperation braucht

Warum die Welt globale Governance für Wissenschaftskooperation braucht

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Schwachula, Anna
Die aktuelle Kolumne (2021)

German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 15.02.2021

Soziale Gerechtigkeit ist ein integraler Bestandteil von nachhaltiger Entwicklung. Global betrachtet heißt das: Ohne den Abbau von Machtungleichheiten zwischen den Ländern bleibt soziale Gerechtigkeit Zukunftsmusik. Die angewandte transnationale Forschungszusammenarbeit löst zwar recht erfolgreich spezifische Nachhaltigkeitsprobleme, z.B. durch forschungsbasierte Innovationen für klimaneutrale Urbanisierung oder integriertes Wassermanagement. Jedoch bleibt globale Gerechtigkeit ein blinder Fleck – globale Wissenshierarchien werden meist nicht angetastet.

Dabei könnte Wissenschafts-zusammenarbeit dazu beitragen, bestehende systemische Ungleichheiten abzubauen: Wenn Forschende über Grenzen hinweg gemeinsam Wissen erarbeiten und Erkenntnisse teilen, begegnen sich die Partner*innen auf gleicher Höhe – im Gegensatz zur Entwicklungszusammenarbeit. Denn diese beruht in ihrer Essenz auf einer Hierarchie des Wissens, wenn Expertise aus einem „entwickelten“ in ein „zu entwickelndes“ Partnerland fließt.

Durch Wissenschaftskooperation verbessert sich im besten Fall die Wertschätzung und Sichtbarkeit aller Beteiligter im globalen Wissenschaftssystem. Gemeinsames Forschen und Publizieren bietet so die Chance, die Vorherrschaft des im globalen Norden geprägten Wissens zu durchbrechen und damit zusammenhängende Machtgefälle in Frage zu stellen. Dazu bedarf es jedoch fairer Kooperationsmuster.

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Südafrika (oder auch China, Peru oder jedes andere Land des globalen Südens) veröffentlicht eine Ausschreibung für transnationale Forschungsprojekte, um ein Nachhaltigkeitsproblem in Deutschland zu erforschen und zu lösen. Festgelegt wurde der Forschungsgegenstand von südafrikanischen Forscher*innen und politischen Entscheider*innen. Es fanden keine Regierungskonsultationen mit Deutschland statt, um gemeinsam das Problemfeld einzugrenzen und darauf aufbauend eine transnationale Förderlinie zu gestalten. Eine Ko-Finanzierung für die deutschen Partner*innen gibt es nicht. Die Rollen im Projektteam sind dementsprechend klar verteilt. Die Südafrikaner*innen leiten das Projekt, bestimmen den konzeptionellen Rahmen, werten Ergebnisse aus und sorgen für die richtigen Schlussfolgerungen; die Deutschen sind zuständig für die lokale Anbindung und liefern empirische Daten.

Seltsame Vorstellung – und auch unwahrscheinlich. Der Vorschlag einer solchen Initiative würde wohl in der deutschen Politik- und Forschungscommunity als übergriffig und empörend empfunden. Und dennoch zeigt das Beispiel, jedoch in umgekehrter Konstellation, die gängige Praxis deutscher Forschungsförderung für die Kooperation mit Partner*innen des globalen Südens. Eine aktuelle deutsche Ausschreibung für Forschung zum Wassermanagement in Südafrika illustriert dies. Trotz der Rhetorik einer „Kooperation auf Augenhöhe“ sind alleine gestaltete Ausschreibungen üblich; das förderpolitische Ko-Design bleibt die Ausnahme. Ausbalancierte Machtverhältnisse sehen so nicht aus.

Die problematische Konzipierung der Forschungspolitik wirkt sich auch auf die Projektpraxis aus. Selbst auf Gleichrangigkeit bedachte Konsortialpartner*innen können das im politischen Entstehungsprozess verankerte Machtgefälle in der Kooperationspraxis nur schwer ausgleichen. Partner*innen ohne Finanzierung und ohne grundlegende inhaltliche Mitgestaltungsmöglichkeiten sind per se nicht gleichrangig. Und deshalb können Lösungsansätze nicht ausschließlich in der sensiblen Ausgestaltung der Kooperation durch die Forschenden liegen. Sie müssen auf der politischen Ebene beginnen.

Eine Analyse der Forschungsprogramme und -ausschreibungen der letzten Jahre zeigt, dass sich der Mainstream der deutschen Forschungspolitik für transnationale Kooperation sowohl an den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) als auch an deutschen Prioritäten, wie insbesondere der Hightech Strategie als Instrument der Wirtschaftsförderung, orientiert. Eine öffentliche Debatte zu Zielkonflikten ist ebenso notwendig wie eine Diskussion der Partnerkonstellationen, die sich aus diesen Prämissen ergibt. Dies ist jedoch nicht erkennbar. Die Agenda 2030 selbst klammert Fragen globaler Machverteilung aus und macht keine Vorschläge zur Ausgestaltung von Forschungskooperationen. Aber auch die internationalen Partnerschaftsprinzipien für die Entwicklungszusammenarbeit sind kein Leitbild für die Forschungspolitik als Politikfeld, das auf Eigenständigkeit pocht.

Forschungszusammenarbeit sollte sich nicht damit begnügen, SDGs lokal umzusetzen oder Nachhaltigkeitsprobleme wissenschaftlich zu reflektieren. Sie sollte den Anspruch haben, durch faire und gleichrangige Kooperation auch zu einem Abbau systemischer globaler Ungerechtigkeit beizutragen. Dazu bedarf es verbindlicher globaler Governance-Mechanismen für Forschungskooperation, auf deren Basis Politiker*innen faire transnationale Forschungsprogramme konzipieren, die anschließend durch Forschende machtsensibel ausgestaltet werden. Die Partnerschaftsprinzipien müssen dabei über „Effektivität“, dem Ideal der Entwicklungszusammenarbeit, hinausgehen. Gegenseitiger Respekt und Gerechtigkeit durch die gemeinsame Gestaltung des politischen Rahmens, der Themenwahl und der Forschungspraxis: Das wäre nicht nur effektiv, sondern auch nachhaltig fair.

Über die Autorin

Schwachula, Anna

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Schwachula

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