Die aktuelle Kolumne

Israel-Palästina-Konflikt

Was der Tod der Zweistaatenlösung für Europa bedeutet

Furness, Mark
Die aktuelle Kolumne (2025)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 23.06.2025

Bonn, 23. Juni 2025. Die ursprünglich für den 17. bis 20. Juni geplante UN-Konferenz zu Palästina wurde nach dem israelischen Angriff auf den Iran am 13. Juni aus „logistischen und sicherheitstechnischen Gründen“ verschoben. Dass die Zweistaatenlösung für einen Frieden zwischen Israel und Palästina damit vorerst gestorben ist, wollen die meisten Europäer*innen nicht wahrhaben. Es gibt keine realistische Aussicht auf die Gründung eines palästinensischen Staates gemäß dem seit Langem bestehenden Friedensplan auf Grundlage der Grenzen von 1967 (der „grünen Linie“). Es wird nach dem Krieg keinen Wiederaufbau Palästinas geben, keine internationale Unterstützung bei der Entwicklung staatlicher Strukturen und kein ehrgeiziges Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Palästina zur Stärkung der palästinensischen Wirtschaft. Angesichts dieser Realität sind die europäischen Länder dazu gezwungen, ihre Beziehungen zu Israel und ihre Verantwortung für die palästinensische Bevölkerung neu zu bewerten.

Die Konferenz geht auf die von der UN-Vollversammlung verabschiedete Resolution ES 10-24 zurück und sollte gemeinsam von Frankreich und Saudi-Arabien geleitet werden. Bei runden Tischen über Schlüsselfragen wie Sicherheit, Wiederaufbau und die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung Palästinas sollte auf der Konferenz ein Weg zum Frieden mittels einer Zweistaatenlösung erarbeitet werden. Proisraelische Stimmen verurteilten die Konferenz als „Belohnung für die Gräueltaten vom 7. Oktober“. Die USA warnten ihre Verbündeten in einer diplomatischen Demarche davor, Palästina als Staat anzuerkennen, da dies ihren außenpolitischen Interessen entgegenstünde.

Der französische Staatspräsident Macron hat betont, dass er sich weiterhin entschlossen für eine Zweistaatenlösung einsetzen werde. Allerdings ist diese seit den Oslo-Abkommen und dem Optimismus der 1990er Jahre in immer weitere Ferne gerückt. Israels Siedlungspolitik im Westjordanland hat einen palästinensischen Staat unmöglich gemacht. Auf die Räumung der israelischen Siedlungen im Gazastreifen im Jahr 2005 folgten die Wahl der Hamas, die israelische Blockade des Gazastreifens und der Kreislauf der Gewalt, der in den Terroranschlägen vom 7. Oktober 2023 auf Israel gipfelte. Die Reaktion Israels auf die Angriffe der Hamas wurde von vielen Expert*innen als Kriegsverbrechen verurteilt, die einem Völkermord gleichkommen. Unter dem Deckmantel seines Krieges gegen die Hamas hat Israel auch seine Politik der Enteignung der Palästinenser*innen im Westjordanland vorangetrieben.

Die USA, das einzige Land mit echtem Einfluss auf die israelische Regierung, haben die Zweistaatenlösung in der Vergangenheit zwar diplomatisch unterstützt, aber wiederholt Veto gegen UN-Resolutionen eingelegt, die echte Fortschritte in diese Richtung hätten ermöglichen können. Damit ist jetzt Schluss. Den USA schwebt eine „Riviera des Nahen Ostens“ vor – mit Eigentumswohnungen und Kasinos statt Wohnraum für die Palästinenser*innen. Huckabee, der US-Botschafter in Israel, hat sich in mehreren Interviews deutlich gegen einen palästinensischen Staat ausgesprochen, es sei denn, einer der arabischen Nachbarn Israels wäre bereit, dafür Territorium abzutreten.

Welche Alternativen gibt es also zu einer Zweistaatenlösung, und welche wäre für Europa am verträglichsten? UN-Generalsekretär Guterres beharrt auf einer Zweistaatenlösung, da die Alternative entweder die Vertreibung der Palästinenser*innen oder deren Rechtlosigkeit in Israel sei. Der israelische Journalist Gideon Levy hat eine weitere Alternative aufgezeigt: eine säkulare Demokratie, in der alle Bürger*innen die gleichen Rechte haben.

Gegen eine Massenvertreibung würden sich die Palästinenser*innen selbst und die Nachbarländer zweifellos wehren. Lassen die Europäer zu, dass es dazu kommt, müssen sie auch die damit verbundene Gewalt, Zwangsumsiedlungen und Massenlager akzeptieren. Erhielten Palästinenser*innen einen Status innerhalb Israels als Staatsbürger*innen zweiter Klasse, würde sich die derzeitige Situation noch verschärfen. Israel wäre keine Demokratie mehr, weil es Menschen, über die es souveräne Kontrolle ausübt, Rechte verweigert. Da Israel die Aussicht auf einen palästinensischen Staat abgelehnt hat, kann es nicht mehr glaubhaft machen, dass die Rechte der Palästinenser*innen allein in der Verantwortung der palästinensischen Behörden liegen. Bei der Alternative, der von Levy und anderen progressiven Stimmen in Israel und anderswo vorgeschlagenen Einstaatenlösung, gäbe es keinen jüdischen und keinen palästinensischen Staat mehr. Ein solcher Kompromiss ist allerdings kaum möglich. Viel wahrscheinlicher ist eine Enteignung und Entrechtung der Palästinenser*innen und/oder eine Apartheid in Israel.

Angesichts der Schwere des aktuellen Konflikts ist die Zweistaatenlösung zum diplomatischen Feigenblatt geworden. Mit dem Beharren auf dieser Lösung kann Europa harte Entscheidungen in Bezug auf seine Beziehungen zu Israel und zu den Palästinenser*innen umgehen. Von einigen Ausnahmen abgesehen, haben sich die europäischen Regierungen darauf beschränkt, den humanitären Zugang zum Gazastreifen und die Freilassung der von der Hamas festgehaltenen Geiseln zu fordern, während sie weiterhin Waffen an Israel liefern. Damit haben sie sich davor gedrückt, für ihre Grundwerte einzutreten. Der Tod der Zweistaatenlösung erfordert nun alternative Szenarien – und Europa muss sich entscheiden, mit welchem es leben kann.

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