Abschottung oder Kooperation?

Was die Münchner Sicherheitskonferenz über die internationale Ordnung Anfang 2019 aussagt

Was die Münchner Sicherheitskonferenz über die internationale Ordnung Anfang 2019 aussagt

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Grävingholt, Jörn
Die aktuelle Kolumne (2019)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), (Die aktuelle Kolumne vom 18.02.2019)

Bonn, 18.02.2019 Seit der Münchner Sicherheitskonferenz vom vergangenen Wochenende ist ein Zitat des italienischen Philosophen Antonio Gramsci in aller Munde: „Das Alte stirbt, das Neue ist noch nicht geboren.“ Der Satz soll jene Krise beschreiben, in der sich die internationale Ordnung Anfang 2019 befindet. Alarmstimmung macht sich breit. Zu den bekannten Krisenherden der letzten Jahre (Syrien, Jemen, Iran, Ukraine; Brexit, Trump, Handelskriege) kommt – zumindest aus europäischer Sicht – nun noch ein neuer hinzu: Der INF-Vertrag über die Abschaffung nuklearer Mittelstreckenraketen, der 1987 zwischen USA und UdSSR geschlossen wurde, steht vor dem Aus. Sorgen vor einem neuen Wettrüsten, einem „Comeback der Atombombe“ werden artikuliert. Und während die globalen Streitpunkte mehr werden, nimmt die Bereitschaft, nach kooperativen Lösungen zu suchen, bei wesentlichen Akteuren wie Russland und den USA weiter ab. Stattdessen werden Abschottung und Konfrontation propagiert.

Die Wahrnehmung des Ordnungsverlusts ist nicht neu: Schon vor einem halben Jahrzehnt sprach der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier von einer „Welt aus den Fugen“. Damals hatte Russland die Krim annektiert. Inzwischen wirkt es, als habe sich die Krise ins Innere der liberalen Weltordnung gefressen. Großbritannien schlittert planlos in den Brexit, weil seine politische Klasse glaubt, sich die Welt einfacher machen zu können, als sie ist. US-Präsident Trump erklärt unermüdlich seine Verachtung für Recht und Verfassung und reißt damit verbal jene Grenze ein, die liberale Demokratien von populistischen Autokratien unterscheidet. Polen und Ungarn schreiten ebenfalls auf diesem Weg voran – Ausgang ungewiss.

In dieser Lage hat das absehbare Ende des INF-Vertrags in den letzten Wochen zu intensiven Diskussionen über militärische und andere sicherheitspolitische Reaktionen geführt. Bisweilen schien gar eine gewisse Erleichterung zu herrschen, nach all den Jahren des komplizierten „erweiterten“ Sicherheitsbegriffs wieder über klassische Fragen wie Sprengköpfe, Raketenreichweiten und Abschreckung reden zu können. Endlich ein Problem, das man wenigstens mit den bekannten Begriffen beschreiben kann. Allein schon deshalb hat die Debatte über nukleare Rüstung in Europa das Potenzial, viel politische und öffentliche Aufmerksamkeit zu binden. Doch es wäre fatal, wenn es zu einer einseitigen Fixierung auf Rüstung und Waffensysteme käme.

Denn die Herausforderung, eine neue globale Ordnung zu errichten, die die Bewältigung der großen Zukunftsfragen der Menschheit erlaubt (Klimawandel, globale Teilhabe), wird dadurch nicht verschwinden. Daher war es wichtig, dass führende Vertreterinnen aus Europa, allen voran die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Bundeskanzlerin Angela Merkel, in München ausdrücklich für eine moderne Sicherheitspolitik warben, die über das Militärische hinausgeht und etwa auch Entwicklungs-, Klima- und Handelspolitik sowie Diplomatie und Cybersicherheit umfasst.

Weniger Beachtung fanden in München die nicht-militärischen Bemühungen, die die EU, Deutschland und viele andere Geber seit langem finanzieren, um weltweit Friedensprozesse nach bewaffneten Konflikten zu stabilisieren und konsolidieren. Auch sie leisten wichtige Beiträge zu einer friedlichen globalen Ordnung. Anders als es im harten Realismus klassischer Sicherheitspolitiker oft erscheint, ist zivile Friedensförderung keine idealistische Träumerei. Im Gegenteil, jüngste Forschung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) belegt: Internationale Bemühungen um Friedenserhaltung in Ländern, die einen Bürgerkrieg erlebt haben, lohnen sich. Es gibt keine Erfolgsgarantie – aber eine realistische Erfolgschance, wenn früh die Weichen externer Hilfe in die richtige Richtung gestellt werden, so wie in den 2000er Jahren in den westafrikanischen Ländern Liberia und Sierra Leone. Wird hingegen auf substanzielles Engagement verzichtet, wie dies etwa nach Gewaltkonflikten im Tschad, in Uganda oder Jemen der Fall war, endet dies nahezu immer in einem Rückfall in Gewalt. Vor allem ein umfassendes Unterstützungspaket, das politisches Engagement und wirtschaftliche Hilfe damit verbindet auch bei der innergesellschaftlichen Überwindung von Konfliktlinien zu unterstützen und Sicherheit für die Menschen zu schaffen, kann Frieden sichern helfen.

Besonders bemerkenswert: Wo Konfliktparteien sich darauf eingelassen haben, in Zukunft demokratische Spielregeln anstelle von bewaffneter Auseinandersetzung zum Zuge kommen zu lassen, kann die externe Unterstützung von Institutionen, die fairen Wettbewerb ermöglichen und zugleich Machtausübung wirksam begrenzen, entscheidend sein. Sie tragen dazu bei, dass das demokratische Wechselspiel von Sieg und Niederlage nicht neue Gewalt hervorbringt, sondern Kooperation zwischen bislang unversöhnlichen Gegnern möglich wird.

Nichts verringert das Risiko gewaltsamer Konflikte in einer Gesellschaft mehr als wirksame Institutionen, die alle Beteiligten fair behandeln. Was in der Friedensförderung gilt, sollte auch darüber hinaus Richtschnur des Handelns sein. Die „neue“ globale Ordnung, nach der in München gesucht wurde – sie wird kooperative Institutionen benötigen. Abschottung und Konfrontation werden dabei nicht helfen.

 

Über den Autor

Grävingholt, Jörn

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