Was nun? Europäische Außen- und Entwicklungspolitik nach dem Brexit

Was nun? Europäische Außen- und Entwicklungspolitik nach dem Brexit

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Hackenesch, Christine / Thomas Henökl / Niels Keijzer
Die aktuelle Kolumne (2016)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 27.06.2016)

Bonn, 27.06.2016. Wenn die EU-Staats- und Regierungschefs sich morgen in Brüssel treffen, ist die Stimmung vermutlich auf dem Tiefpunkt angekommen. Die Briten haben sich mit einer knappen Mehrheit von 52 Prozent dafür ausgesprochen, die EU zu verlassen. Die ‚Leave‘-Stimmen konzentrierten sich auf England und Wales; Schottland und Nordirland haben mit großer Mehrheit für den Verbleib in der EU gestimmt. Mehr ältere als jüngere Briten waren für den Brexit.

Leider gab es in Großbritannien am Ende keinen Hexenmeister, der die Geister, die David Cameron rief, wieder eingefangen und den wildgewordenen Besen unter Kontrolle gebracht hätte. Der Prozess zeigt außerdem, dass Referenden nur bedingt geeignet sind, sehr komplizierte und weitreichende Entscheidungen zu treffen. Ob und wann Großbritannien den Austritt aus der EU nach Artikel 50 des Lissabon Vertrages einleitet ist unklar. In jedem Fall haben die Briten Europa in eine Krise gestürzt.

Implikationen eines möglichen Brexit

Was bedeutet der mögliche Brexit für die europäische Außen- und Entwicklungspolitik? Sicher ist im Augenblick eigentlich nur, dass die nächsten Wochen und Monate von großer Unsicherheit geprägt sein werden. Die Verhandlungen werden sich vermutlich zunächst stark auf den internen Markt und Subventionen aus den Agrar- und Kohäsionspolitik konzentrieren, weniger auf Außenpolitik, Entwicklungspolitik oder Handelsabkommen wie die Wirtschaftlichen Partnerschaftsabkommen (EPAs). Die EU wird auf Monate erst einmal mit sich selbst beschäftigt sein. Dies ist umso bedauerlicher, weil wir ein starkes sowie transfomiertes Europa dringender brauchen denn je. In Zeiten weit fortgeschrittener Globalisierung und enger internationaler Verflechtungen können einzelne Mitgliedstaaten (einschließlich der „big three“ – UK, Deutschland und Frankreich) im Alleingang auf der internationalen Bühne immer weniger ausrichten.

Umso paradoxer erschien das Argument der ‚vote leave‘-Kampagne, Großbritannien würde durch den Austritt international ‚zu alter Größe‘ zurückfinden. Nicht zuletzt US-Präsident Obama hatte die Briten bei seinem jüngsten Besuch daran erinnert, dass sie als Teil der EU deutlich mehr internationalen Einfluss haben, als wenn sie sich wechselnde Koalitionen suchen müssten. „The European Union does not moderate British influence – it magnifies it“, hielt Obama den Brexit-Befürwortern entgegen. Wer am Ende Recht behält, wird die Zeit zeigen.

Brexit auch als Chance?

Es wäre zu hoffen, dass die EU aus der Not eine Tugend macht und den Brexit als Chance nutzt, in der Außen- und Entwicklungspolitik enger zusammenzuarbeiten. Bei der Bekämpfung des Terrorismus, der Fluchtursachen, der Beendigung von Konflikten, der Reduzierung staatlicher Fragilität und Armut durch Entwicklungs-, Außen-, Sicherheitspolitik und anderer Politikbereiche können einzelne EU-Mitgliedsländer allein kaum etwas ausrichten. Erst durch enge europäische Kooperation und die Nutzung komparativer Vorteile einzelner Akteure kann Europa international einen Unterschied machen. 

Bei der Verabschiedung des Klimaabkommens im Dezember in Paris oder bei den Verhandlungen zur 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung im September in New York hat Europa durch gemeinsames Auftreten eine wichtige und konstruktive Rolle gespielt. Der Erfolg dieser Abkommen und damit die Möglichkeit, globale Herausforderungen positiv zu beeinflussen, hängen auch davon ab, ob Europa selbst mit gutem Beispiel vorangeht.

Großbritannien hat die Außen- und Entwicklungspolitik maßgeblich mit beeinflusst. Als zweitgrößter Geber weltweit ist das Vereinigte Königreich ein Schwergewicht und einer der tonangebenden Staaten in der strategischen Ausrichtung der Entwicklungspolitik. Die Briten standen einer engeren europäischen Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik in vielen Fällen skeptisch gegenüber und präferierten kleinere, sogenannte ‚like-minded‘-Gruppen. Nach dem jetzt wahrscheinlich anstehenden Austritt werden sich die ‚Machtgleichgewichte‘ in der europäischen Entwicklungspolitik neu justieren. Neuere Mitgliedsstaaten wie Polen und mittel- und osteuropäische Länder sollten dabei eine wichtigere Rolle spielen. In jedem Fall wird Deutschland international deutlich mehr Verantwortung übernehmen müssen.

Europa hat in den vergangenen Monaten einen Prozess angestoßen, neue gemeinsame Visionen für europäisches Außenhandeln zu definieren. Die neue EU-Globalstrategie, die die hohe Vertreterin der Kommission, Federica Mogherini, im vergangenen Jahr erarbeitet hat, soll den EU- Außenbeziehungen eine gemeinsame Richtung geben. Die Strategie soll morgen beim Treffen des Europäischen Rates gebilligt werden. In der Entwicklungspolitik haben jüngst Diskussionen zur Revision des Europäischen Konsens für Entwicklung begonnen. Der Konsens, bei dem sich die Kommission, das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten 2005 zum ersten Mal auf eine gemeinsame Perspektive für europäische Entwicklungspolitik einigten, soll grundlegend überarbeitet werden. Diese Strategieprozesse sollten wegen des möglichen Brexit nicht aufgegeben werden. Im Gegenteil: Der Vertrag von Lissabon hat 2009 den Versuch unternommen, die EU besser in die Lage zu versetzen, international gemeinsam zu handeln. Er hat die europäische Außenpolitik institutionell gestärkt. Gerade jetzt muss die EU sich außenpolitisch besser aufstellen. Die EU muss deutlich machen, dass sie einen positiven und nachhaltigen Beitrag zur Lösung der vielfältigen Krisen und Konflikte in ihrer Nachbarschaft und zur Bearbeitung globaler Herausforderungen leisten kann.

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