Was, wenn TTIP scheitert?

Was, wenn TTIP scheitert?

Download PDF 174 KB

Berger, Axel
Die aktuelle Kolumne (2014)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne, 01.12.2014)

Bonn, 01.12.2014. Aktuell tobt eine hitzige Debatte über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP), die seit letztem Sommer zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) verhandelt wird. Ein nicht geringer Teil der öffentlichen Meinung in Deutschland und Europa – orchestriert von einem breiten Bündnis von Nichtregierungsorganisationen – fordert das Ende der Verhandlungen. Für sie ist TTIP mit einem Ausverkauf europäischer Sozial- und Umweltstandards gleichzusetzen und käme auch Entwicklungsländern teuer zu stehen. Diese öffentliche Kritik ist wichtig, bedeutet sie doch eine Rückbindung der technokratischen Verhandlungen an die Erwartungen, Bedürfnisse und Ängste der Bürger. Angesichts der fundamentalen Kritik stehen die TTIP-Verhandlungen tatsächlich auf der Kippe und wir sollten beginnen, darüber nachzudenken, wie sich ein Scheitern auswirken würde.

Eines ist klar: Dieses Mammutprojekt ist schlichtweg zu groß, als dass eine Rückkehr zum handelspolitischen business as usual ohne weiteres möglich wäre. Bei TTIP verhandeln die beiden größten Akteure der Weltwirtschaft, die knapp 45 % des Welthandels und 60 % der weltweiten Investitionsflüsse abdecken. TTIP ist sowohl ein geostrategisches als auch ein ökonomisches Projekt. TTIP soll nicht nur helfen, Europa von russischen Gaslieferungen unabhängiger zu machen, sondern auch Chinas wachsenden Einfluss einzudämmen. Angesichts dieser Vorzeichen hätte ein Scheitern der TTIP-Verhandlungen bedeutende Auswirkungen.

Es geht nicht allein um die ökonomischen Folgen. Der Wachstumsschub, der durch einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen zu erwarten ist, ist zu gering, als dass Wohl und Wehe der europäischen Volkswirtschaften allein von TTIP abhängen würden. Ein Scheitern der TTIP-Verhandlungen hätte vor allem Auswirkungen auf den europäischen Integrationsprozess und noch mehr auf das Welthandelssystem.

Der Ausgang der TTIP-Verhandlungen wird als Signal an die internationale Staatengemeinschaft verstanden werden, ob die EU in Zukunft handlungsfähig ist. Die gemeinsame Handelspolitik gehört traditionell zu den am stärksten integrierten Politikfeldern der EU. Aus Perspektive unserer Partner klingt die aktuelle Diskussion innerhalb der Union aber oft eher wie eine Kakophonie und nicht wie ein wohlabgestimmter Chor. Gestritten wird seit Jahren insbesondere über das Thema Investitionsschutz und neuerdings über das bisherige Nischenthema Investor-Staat-Streitbeilegung. Während sich die osteuropäischen EU-Mitglieder für einen (reformierten) Streitbeilegungsmechanismus einsetzen, positionieren sich die Westeuropäer dagegen. Die EU hätte gut daran getan, diese fundamentalen Fragen zu klären, bevor sie sich kopfüber in die Verhandlungen des größten Freihandelsprojekts seit Gründung der Welthandelsorganisation Mitte der 1990er stürzt. Würden diese europäischen Differenzen zu einem Scheitern von TTIP beitragen, käme dies einem weiteren Rückschritt im europäischen Integrationsprozess gleich, da die EU ihre Handlungsunfähigkeit in einem ihrer zentralen Politikfeldern beweisen würde. Dies hätte auch Auswirkungen auf andere Politikfelder, wie etwa die internationale Klimapolitik, in denen die EU als Führungsmacht gebraucht wird.

Für das Welthandelssystem bedeutet TTIP zwar eine Abkehr vom multilateralen Prozess. Es wäre aber fatal im Umkehrschluss zu behaupten, dass ein Scheitern von TTIP gut für die Welthandelsorganisation wäre. Es waren nicht zuletzt die TTIP-Verhandlungen, durch die ein positives Momentum entstanden ist, das die Einigung auf der letzten Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation in Bali möglich machte. Mit einem Scheitern von TTIP wären sowohl Gestaltungskraft als auch Ansehen von EU und USA in der Welthandelsorganisation auf Jahre beschädigt. Von wem sollen Initiativen zur dringend notwendigen Reform des multilateralen Handelssystems und zum Abschluss der Doha-Runde kommen, wenn nicht von den transatlantischen Partnern? Die fundamentale Opposition Indiens gegen den Konsens von Bali zeigt leider, dass Schwellenländer ihre gewachsene Macht vor allem dafür einsetzen, um enge nationale Interessen mit der Brechstange durchzusetzen.

Sicher wurden die Schwierigkeiten der TTIP-Verhandlungen unterschätzt. Vielleicht hätten die EU und die USA dieses Mammutprojekt niemals in Angriff nehmen sollen. Nun, da die Verhandlungen laufen, wäre es aber ebenso fatal, ein Scheitern leichtfertig in Kauf zu nehmen oder sogar zu fordern. Nach wie vor besteht die Möglichkeit, TTIP so auszugestalten, dass die europäische und US-amerikanische Wirtschaft profitieren, ohne dass Drittländer verlieren. Diese Länder können TTIP zudem als Hebel nutzen, um den transatlantischen Partnern mehr Zugeständnisse in der Welthandelsorganisation abzuringen. Dies erfordert den politischen Willen aller Verhandlungsparteien und mehr Transparenz. Ebenso wichtig ist, dass der öffentliche Diskurs Abstand von fundamentalkritischen Parolen nimmt und stattdessen  konkrete und konstruktive Vorschläge zur Ausgestaltung von TTIP macht.

Über den Autor

Berger, Axel

Politikwissenschaft

Berger

Weitere Expert*innen zu diesem Thema

Brandi, Clara

Ökonomie und Politikwissenschaft 

Gitt, Florian

Ökonomie 

Olekseyuk, Zoryana

Ökonomie 

Stender, Frederik

Ökonom 

Vogel, Tim

Ökonomie