Die aktuelle Kolumne

Die Vision einer globalen Wasserstoffwirtschaft

Wasserstoff: Bedeutung für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen

Stamm, Andreas
Die aktuelle Kolumne (2025)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 01.09.2025

Bonn, 1. September 2025. Deutschland und die Europäische Union verfolgen ehrgeizige Strategien zur Dekarbonisierung ihrer Gesellschaften, mit Wasserstoff als Energieträger und Rohstoff für industrielle Prozesse. Im Einklang mit den Klimazielen muss der verwendete Wasserstoff in kohlenstoffarmen Verfahren hergestellt werden. Idealerweise ist dies grüner Wasserstoff, der durch Elektrolyse unter ausschließlicher Verwendung erneuerbarer Energien gewonnen wird. In dem lange vorherrschenden optimistischen Diskurs wäre die globale Versorgung mit Energieträgern künftig nicht mehr an die vorhandenen Öl-, Gas- oder Kohlevorkommen gebunden. Vielmehr könnte Wasserstoff überall dort hergestellt werden, wo ein gutes Potenzial für Wind-, Solar- oder Geothermie besteht. Dies würde neue Möglichkeiten für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen eröffnen. Die in den Strategien festgelegten Ziele sind sehr ehrgeizig. In der Wasserstoffstrategie von 2023 rechnet Deutschland für 2030 mit einer Elektrolyseurkapazität von 10 GW. Da dies nicht ausreichen würde, um die erforderlichen Mengen an H2 zu produzieren, könnten Importe 50 % bis 70 % des gesamten Wasserstoffbedarfs decken.

Fünf Jahre nach Veröffentlichung der Wasserstoffstrategien ist die Euphorie der Enttäuschung gewichen. In Deutschland waren bis zum ersten Quartal 2025 nur 170 MW Elektrolysekapazität installiert worden, und das Ziel von 10 GW bis 2030 gilt als nicht mehr erreichbar. Aus internationaler Sicht ist die Lage nicht besser. Laut der Internationalen Energieagentur haben derzeit nur etwa 7 % aller weltweiten Wasserstoffprojekte eine endgültige Investitionsentscheidung durchlaufen und werden daher wahrscheinlich umgesetzt.

In den letzten Monaten gab es zahlreiche Berichte über gestrichene H2-Projekte. Dies betrifft alle Elemente der Lieferkette: Im Juli 2025 stoppte das spanische Energieunternehmen REPSOL ein 200-MW-Projekt in einer Raffinerie in Puertollano, eines der größten geplanten H2-Projekte in Europa. Monate zuvor hatten Equinor (Norwegen) und RWE (Deutschland) ihre gemeinsamen Pläne für eine Wasserstoffpipeline durch die Nordsee annulliert. Diese Pipeline hätte eine zuverlässige Versorgung von Industriekunden in Deutschland und Europa mit Wasserstoff ermöglicht. Kürzlich lehnte der zweitgrößte Stahlproduzent der Welt, ArcelorMittal, ein Angebot der deutschen Regierung ab, mehr als eine Milliarde Euro an Subventionen für die Dekarbonisierung von zwei Stahlwerken zu beziehen. Das Unternehmen sieht die langfristige Versorgung mit Wasserstoff als unsicher an und befürchtet, dass grüne Technologien ihm einen Wettbewerbsnachteil gegenüber internationalen Konkurrenten verschaffen könnten.

Es gibt viele Gründe für die strukturelle Krise beim Ausbau der Wasserstoffwirtschaft. Besorgniserregend ist, dass die beteiligten Unternehmen nicht nur weiche Faktoren (wie unklare Vorschriften) anführen, die bei entsprechenden politischen Willen schnell überwunden werden könnten. Vielmehr argumentieren sie mit den wirtschaftlichen Grundlagen der H2-Wertschöpfungsketten: Wasserstoff ist nach wie vor deutlich teurer als fossile Brennstoffe wie Erdgas. Potenzielle Kunden sind nicht bereit oder in der Lage, für Wasserstoff deutlich höhere Preise zu zahlen als für weniger klimafreundliche Alternativen. Darüber hinaus sind mehrere Elemente der Wasserstoffversorgungsketten technologisch noch nicht ausgereift, wie beispielsweise das Cracken von Ammoniak, um den Transport von H2 in Form eines besser geeigneten Derivats zu ermöglichen.

Trotz all dieser Schwierigkeiten gehen wir davon aus, dass H2 eine Zukunft hat und sich ein Wasserstoffmarkt entwickeln wird, sobald die Umsetzungslücke überwunden werden kann. Die meisten Länder fühlen sich an ihre Klimaschutzverpflichtungen gebunden, und einige Sektoren können ohne Wasserstoff als Energieträger oder Rohstoff kaum dekarbonisiert werden. Darüber hinaus wird die angewandte technische Forschung fortgesetzt, mit dem Potenzial, den Wasserstoffausbau wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

Wie sollten Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen und die internationale Zusammenarbeit auf den aktuellen „Wasserstoff-Limbo“ reagieren? Eine abwartende Haltung würde unnötig Zeit kosten. Sinnvoll ist, die Umsetzung von H2-Projekten fortzusetzen und sich dabei auf H2-basierte Lösungen für Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung zu konzentrieren. Zwei Beispiele: 1) Wasserstoff kann zur Dekarbonisierung der Düngemittelindustrie beitragen. Eine dezentrale Düngemittelproduktion auf Basis von emissionsarmem Wasserstoff kann die Ernährungssicherheit in Afrika unterstützen, Treibhausgasemissionen reduzieren und zur Weiterentwicklung der Wasserstofftechnologien beitragen. 2) Als Alternative zur Elektrolyse kann Wasserstoff aus Abwasser gewonnen werden, z. B. durch Fermentation. Dadurch können Umweltbelastungen (z. B. die Eutrophierung von Gewässern) und Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit städtischen Abwässern verringert werden.

Werden verschiedene Entwicklungsziele gleichzeitig verfolgt, verlieren die Kostenunterschiede zwischen Wasserstoff und konventionellen Technologien an Bedeutung. Die skizzierten alternativen Technologien sollten in Forschungspartnerschaften mit dem Globalen Süden entwickelt werden; als wichtiger Bestandteil einer multilateralen Wasserstoffstrategie zur Bewältigung globaler Herausforderungen.

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