Welternährungstag 2009 - noch nie haben so viele Menschen gehungert

Welternährungstag 2009 - noch nie haben so viele Menschen gehungert

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Neubert, Susanne
Die aktuelle Kolumne (2009)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 12.10.2009)

Bonn, 12.10.2009. Zum diesjährigen Welternährungstag am 16. Oktober hungern rund 1,2 Mrd. Menschen, was bedeutet, dass jeder 6. bis 7. Mensch derzeit nicht genug zu essen hat. Diese Entwicklung war zu erwarten, denn im letzten Jahr kamen drei globale Krisen zusammen, die sich allesamt negativ auf die weltweite Ernährungssituation auswirkten: Zunächst die Nahrungskrise von 2007/2008, verursacht durch extrem hohe Nahrungsmittelpreise, wodurch die Gesamtzahl der Hungernden von 800 Mio. auf 900 Mio. anstieg. Auf dem Fuß folgte die Finanz- und Wirtschaftskrise, welche die Welternährungslage weiter verschärfte. Die dritte Krise, der Klimawandel, manifestierte sich im gleichen Zeitraum besonders heftig in großen Dürren und Missernten in vielen Teilen der Welt.

Zurück zur Nahrungsmittelkrise: Nachdem viele Jahre niedrige Nahrungspreise vorherrschten - was in Entwicklungsländern zwar den Städtern nutzte, der bäuerlichen Landwirtschaft aber schadete - stiegen sie 2006-2008 plötzlich sprunghaft an und erreichten bald Rekordhöhen. Die Ursachen für den Preisanstieg waren vielfältig. Zum einen verursachten die damals hohen Erdölpreise einen Anstieg der Produktionskosten, vor allem bei Diesel und Düngemitteln. Zum anderen führten die zahlreich aufgelegten Förderprogramme vieler Industriestaaten zur Steigerung der Konkurrenzfähigkeit von Biodiesel regional zu einem weiteren Preisanstieg von Nahrungsmitteln. Großflächige Ernteausfälle z.B. in Australien hatten zudem zur Folge, dass die Weltgetreidevorräte in kürzester Zeit stark zurückgingen. Es wurden Angstkäufe getätigt und einige Länder sprachen Exportrestriktionen für Nahrungsmittel aus, um die Ernährung ihrer eigenen Bevölkerung zu sichern. Dies wiederum begünstigte Spekulationen auf den Finanzmärkten und führte zu weiteren Preissteigerungen.

Für die mittelfristige Entwicklung sah es zunächst so aus, dass die Nahrungskrise aber auch einen guten Effekt hatte: Es entstand Hoffnung, dass sich Investitionen in landwirtschaftliche Entwicklung wieder lohnen und bäuerliche Landwirtschaft wieder rentabel werden könnte. Bevor solche Effekte jedoch eintreten konnten, wurde die Welt von der Finanz- und Wirtschaftskrise erfasst. Die Rohstoffpreise fielen wieder und auch die wichtigsten internationalen Getreidepreise gingen zurück. Dies bedeutete zwar eine leichte kurzfristige Entspannung der Ernährungslage, führte aber dazu, dass nicht nur die Investitionsanreize für den landwirtschaftlichen Sektor wieder verpufften, sondern auch die Investitionsfähigkeit zurückging. Sinkende Direktinvestitionen, ausbleibende Rücküberweisungen und fallende Staatseinnahmen führten zu stark sinkenden Haushaltseinkommen besonders in den armen Entwicklungsländern. Da für Investitionsentscheidungen nicht nur das aktuelle Preisniveau entscheidend ist, sondern auch seine Stabilität, wurden durch die Wirtschaftskrise Investitionsentscheidungen zugunsten der Landwirtschaft jetzt stark erschwert. Für die Bauern schlägt sich nun die steigende Unsicherheit in teureren Krediten mit härteren Kreditkonditionen nieder.

Die Nahrungsmittelkrise ist daher nicht zu Ende, auch wenn dies aufgrund der kurzen Entspannung und der Überlagerung durch die Wirtschaftskrise vielleicht so erschien. Sie ist vielmehr in vollem Gang und wird es ohne wirksame gegensteuernde Maßnahmen auch bleiben.

Was können wir also tun?
Investitionen in landwirtschaftliche Entwicklung sind trotz der Rückschläge nach wie vor der einzige Weg, um das Nahrungsmittelangebot zu steigern und um besonders in den armen Ländern mehr Unabhängigkeit von internationalen Getreidepreisen zu erreichen. Landwirtschaftliche Systeme müssen gegenüber stark schwankenden Wetterereignissen als Folge des Klimawandels und gegenüber volatilen Weltmarktpreisen sicherer gemacht werden. Wichtig sind aber auch die volle Einlösung der Finanzzusagen von Industrieländern an das Welternährungsprogramm und eine kohärente Politik des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Abfederung derartiger ‚externer Schocks’. Es ist jedoch auch ein stärkeres Engagement der Entwicklungsländer erforderlich, was die konsequente Umsetzung des Comprehensive Africa Agricultural Programme (CAADP), einer noch jungen Struktur des New Partnership for Africa’s Development (NEPAD), betrifft. Dabei kann nur noch eine „grüne Revolution“ in Afrika die Defizite der Vergangenheit ausgleichen. Sie darf jedoch nicht dem alten Vorbild folgen, sondern muss gleichzeitig eine konsequente Anpassungspolitik an den Klimawandel beinhalten und die internationalen Preisschwankungen auch für Agrarinputs berücksichtigen. Dies bedeutet eine Abkehr der auf hohen externen Inputs beruhenden Landwirtschaft hin zu einer Landbewirtschaftung, die Wasser konservierende und Bodenfruchtbarkeit steigernde Maßnahmen in den Mittelpunkt stellt und die diese Strategien klug mit nachhaltigen Saatzuchtprogrammen und Bewässerungstechnologien kombiniert, um die lokale Pufferkapazität gegen Dürren zu steigern.

Regionale Führungsmächte wie China und Indien sollten zudem an Krisenplänen zur Erhöhung der internationalen Pufferkapazitäten, z.B. der Weltgetreidevorräte, mitwirken. Dabei sollten sie auch ihre eigenen Länder im Blick haben. Denn es müssen Strategien entwickelt werden, wie die immer mehr auf Fleisch basierende Ernährung der Wohlhabenden in dieser Welt eingedämmt werden kann. Nicht nur, dass Überernährung für jeden Einzelnen ungesund ist. Es erscheint als Massenphänomen angesichts der Nahrungsmittelkrise auch zynisch, dass heute bereits mehr als 1,2 Milliarden Menschen überernährt sind. Faktisch und für die weltweite Landwirtschaft bedeutet dies, dass durch die Veredlung über das Tier, insbesondere wenn es Getreide frisst, ein Vielfaches an Land und Wasser für die Ernährung eines jeden einzelnen Menschen aufgewendet werden muss. Das können wir uns nicht mehr leisten.

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