Die aktuelle Kolumne

Willkommen im Klub: Chancengleichheit als Menschenrecht – nun auch bei der Weltbank

Herrfahrdt-Pähle, Elke / Birte Rodenberg
Die aktuelle Kolumne (2012)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 05.03.2012)

Bonn, 05.03.2012. Am 8. März wird der Internationale Frauentag begangen. Während dem 100. Weltfrauentag im vergangenen Jahr einige mediale Beachtung zukam, ist es davor und danach in den letzten Jahren um das Thema Geschlechtergerechtigkeit ruhig geworden. Umso mehr ist es deshalb zu begrüßen, dass die Weltbank die Gleichberechtigung der Geschlechter erstmals als Thema ihres prominenten Weltentwicklungsberichts gewählt hat und so dazu beiträgt, dem politischen Anliegen zu internationaler Beachtung zu verhelfen. Auf profunden qualitativen Studien beruhend, analysiert der jüngste <link http: go.worldbank.org f45lwefbi0 _blank>World Development Report (WDR) 2012 zunächst Fortschritte und Hindernisse auf dem Weg zu einer größeren Geschlechtergerechtigkeit. So verringert sich die Kluft zwischen Frauen und Männern in vielen Entwicklungsländern in Bereichen sozialer Entwicklung, z. B. bei der Schulbildung. Massive Ungleichheit zu Ungunsten von Frauen hält sich hingegen sehr hartnäckig in den Feldern politisch-gesellschaftlicher Partizipation, z. B. beim Zugang zu formaler Beschäftigung und wirtschaftlichen Ressourcen, wie Krediten oder Land.

Im Unterschied zu früheren Weltbankveröffentlichungen wird erstmalig die Gleichberechtigung der Geschlechter als ein Wert an sich anerkannt. Bemerkenswert sind dabei nicht so sehr die Ergebnisse des Berichts als solche; denn die Trends und Tendenzen dieser heterogenen Entwicklung der globalen Geschlechterverhältnisse werden bereits seit einigen Jahren im Rahmen der globalen Überprüfung der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) verbreitet. Markant ist vielmehr die Tatsache, dass es ausgerechnet die Weltbank ist, die diese komplexe, faktenreiche Argumentation führt – und das unter Anerkennung der Chancengleichheit als Menschenrecht.

Die bisherige Geschlechterpolitik der Weltbank: „Gender equality as smart economics“
Über drei Entwicklungsdekaden hat die Weltbank die Programmatik der internationalen Frauen- und Geschlechterpolitik durch einen Effizienzansatz geprägt, der Geschlechtergleichheit funktionalisierte und lediglich als Voraussetzung für Armutsbekämpfung durch Wirtschaftswachstum und marktorientierte Produktivitätssteigerung sah. Damit hat die Weltbank lange Zeit weder konzeptionell noch in der Praxis zur Durchsetzung von Frauenrechten beigetragen und frauenpolitischen Forderungen, Geschlechtergerechtigkeit als Entwicklungsziel an sich zu verankern, den Boden entzogen.

So machte der Gender-Aktionsplan (GAP; 2007–2010) der Weltbank die größere Handlungsfähigkeit von Frauen, d. h. ihr sozio-ökonomisches Empowerment, explizit zu einer Frage der Wirtschaftlichkeit, zum business case. Hinter dem Ziel, die Gleichstellung der Geschlechter in den Partnerländern zu fördern, lag der Fokus auf Wachstumssteigerungen, die durch eine bessere Integration von Frauen in die formale Wirtschaft erreicht werden sollten. Dabei knüpften die Maßnahmen nahtlos an die wirtschaftlichen Motive der in den 1980er Jahren verfolgten Strukturanpassungsprogramme an, nämlich Effizienz, Produktivität und Wachstum. Dabei verkennt die Weltbank, dass soziale und kulturelle Faktoren es Frauen erschweren, gleichberechtigt am sozialen und politischen Leben teilzunehmen. Zudem bleibt der Beitrag, den Frauen und Mädchen weltweit vor allem im informellen Sektor und durch ihre unbezahlte Fürsorgearbeit (care economy) leisten, unsichtbar.

Der Weltentwicklungsbericht 2012: Konzeptioneller Wendepunkt mit Schwächen
Nun wird jedoch mit dem Weltentwicklungsbericht 2012 die Wahlfreiheit, ein eigenständiges Leben frei von Entbehrungen zu führen, als grundlegendes Menschenrecht für beide Geschlechter anerkannt. Auch wenn der Bericht in einem zweiten Begründungsschritt an der instrumentalisierenden Funktion der Geschlechtergleichheit für kluges Wirtschaften (smart economics) festhält, ist die Abkehr vom Credo der Weltbank: „Gleichberechtigung ist gut für Wirtschaftswachstum“ ebenso zu begrüßen wie überfällig: Immerhin hatte die internationale Gemeinschaft bereits Ende der 1990er Jahre die Beseitigung der Geschlechterungleichheit zu einem übergeordneten und eigenständigen Ziel ihrer Programme erklärt. Doch es gibt auch Kritikwürdiges: So konzentriert sich die Analyse des WDR in neoklassischer Manier auf die Haushalte. Hier, auf der Mikroebene gesellschaftlicher Organisation, möchte die Weltbank die Entscheidungsmacht und Handlungsspielräume von Frauen vergrößern. Dabei hängt man – wie in allen bi- und multilateralen Entwicklungsorganisationen – dem Mythos des geschlechtsneutralen Marktes an und ignoriert die international bekannten feministischen Analysen zu den tatsächlich geschlechtsspezifischen Auswirkungen makroökonomischer Marktmechanismen. Denn bedingt durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung wirken die Anhebung der Zins- und Steuersätze zur Mobilisierung heimischer Finanzressourcen sowie die Privatisierung öffentlicher Dienste und Güter höchst unterschiedlich auf die Lebens- und Arbeitssituation von Frauen und Männern. Gleiches gilt für die Kürzung öffentlicher Ausgaben und Investitionen, aber auch für Handelsliberalisierungen.

Noch ist nicht absehbar, ob der jüngste Weltentwicklungsbericht trotz der genannten Defizite in der Weltbank einen Prozess des Umdenkens einleitet: Von einer “Gleichberechtigung der Frauen als ökonomisch effizient“ hin zu einem Ansatz der “Stärkung von Geschlechtergerechtigkeit als Prozess sozialen und politischen Wandels“. Bisher steht der WDR selbst noch in einem starken Widerspruch zur operationalen Praxis der Bank, so dass es eher zweifelhaft ist, ob der Bericht allein zu einer grundlegenden Wende im operationalen Geschäft vor Ort führen wird, und beispielsweise zukünftig stärker in unabhängige Frauennetzwerke und -projekte anstatt in klassische Mikrounternehmen von Frauen investieren wird.

Hier und jetzt: öffentliche Debatte und öffentliche Finanzierung!
Neben dem konzeptionellen Quantensprung in die Moderne, den die Weltbank wagt, stellen nicht zuletzt auch die Schwächen im Bericht eine Chance dar, die Debatte um Geschlechtergerechtigkeit international wie national wiederzubeleben. Allerdings wurde diese Möglichkeit seit seiner Veröffentlichung nur verhalten und nur innerhalb der genderbewussten Community weniger internationaler Institutionen genutzt. In Deutschland schweigen nicht nur die unabhängigen Stimmen und überlassen Unionspolitikerinnen das Feld für eine klein-klein geführte Quotendebatte; auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat seit dem Regierungswechsel 2009 auf Signale verzichtet, dass und wie es den Grundsatz eines menschenrechtsbasierten Genderansatzes fortschreiben und umsetzen will. Der Gender-Aktionsplan (2009–2012) des BMZ läuft Ende dieses Jahres aus, und es ist nicht erkennbar, in welcher Form die deutsche Entwicklungszusammenarbeit das Gender-Thema künftig verankern wird. Ein weiteres Indiz für das Nachlassen des deutschen Engagements in Sachen Geschlechtergerechtigkeit ist, dass Deutschland bei der Finanzierung der neuen UN-Organisation UN WOMEN weiterhin hinter den internationalen Erwartungen zurückbleibt. Dabei sind effektive und geschlechtersensible multilaterale Mechanismen, die nicht nur vereinzelt Projekte, sondern international angelegte Programme unterstützen, unabdingbar für die Stärkung von Rechten vor allem armer Frauen. Denn nur über eine starke Anwaltschaft für Benachteiligte in diesen unabhängigen Strukturen kann dafür gesorgt werden, dass alte und neue Finanzierungsinstrumente, wie z. B. die multilateralen Gesundheits- und Bildungsfonds, aber auch Klimaanpassungsfonds, für Gender-Anliegen genutzt werden. Bislang werden diese Geldflüsse hingegen überwiegend vermeintlich geschlechtsneutral eingesetzt.

Wenn die Chance genutzt werden soll, die der Weltentwicklungsbericht für die Belebung der politischen Debatte zur Durchsetzung von Frauen-Menschenrechten bietet, muss die Diskussion um eine nachhaltige Politik und Finanzierung für Chancengleichheit jetzt geführt werden. Der Internationale Frauentag am 8. März bietet hierzu eine erste Gelegenheit.

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