Verschuldungskrise in den ärmsten Ländern

Die Internationale Gemeinschaft muss endlich eine Schuldenerleichterung gewähren

Die Internationale Gemeinschaft muss endlich eine Schuldenerleichterung gewähren

Download PDF 332 KB

Berensmann, Kathrin
Die aktuelle Kolumne (2023)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 06.11.2023

Bonn, 06. November 2023. Mehr als die Hälfte der Niedrigeinkommensländer sind aktuell hochverschuldet und teilweise bereits zahlungsunfähig, so aktuelle Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Im Jahr 2015 waren es noch rund ein Drittel. Es besteht die Gefahr einer systemischen Verschuldungskrise in Niedrigeinkommensländern, die deren Entwicklungsfortschritte der vergangenen Dekade erheblich gefährden könnte. Daher muss die internationale Gemeinschaft schnell handeln.

Für die hohe Verschuldung in Niedrigeinkommensländern gibt es zwei Gründe. Erstens haben viele Länder ihren durch Schuldenerlasse (Heavily Indebted Poor Countries Initiative und dem multilateralen Schuldenerlass) neu gewonnenen Kreditspielraum genutzt, um umfangreiche Kredite zu Marktbedingungen bei Ländern außerhalb des Pariser Clubs (u.a. China, Indien, Saudi-Arabien) und bei privaten Gläubigern aufzunehmen. Der Pariser Club ist ein informelles Gremium, in dem vor allem westliche öffentliche bilaterale Gläubiger Umschuldungsverhandlungen mit hochverschuldeten Staaten führen. Diese Marktkredite sind mit hohen Schuldendienstleistungen verbunden gewesen. Gemäß der Weltbank ist der Anteil der öffentlichen Schulden von Niedrigeinkommensländern gegenüber öffentlichen bilateralen Gläubigern, die nicht Mitglieder im Pariser Club sind, von 42 Prozent im Jahr 2010 auf 68 Prozent im Jahr 2021 angestiegen; Chinas Gläubigeranteil hieran erhöhte sich sogar von 18 auf 49 Prozent. Dabei gingen 2022 etwa zwei Drittel der öffentlichen bilateralen Schuldendienstzahlungen an China. Der zweite Grund liegt in den multiplen Krisen der letzten Jahre, insbesondere die COVID-19 Pandemie und der Krieg in der Ukraine, die das makroökonomische Umfeld verändert und zu hohen Zinssätzen geführt haben.

Beides hat höhere Schuldendienstkosten zur Folge. Zunehmend knappere Haushaltsmittel müssen für Schuldendienste verwandt werden und stehen nicht mehr für die Unterstützung der Sustainable Development Goals (SDGs) und der Klimaziele zur Verfügung.

Welche Lösungsansätze gibt es?

Hochverschuldete Niedrigeinkommensländer bräuchten einerseits dringend eine Umschuldung und viele auch einen Schuldenerlass. Andererseits würden solche Maßnahmen die knappen Official Development Assistance (ODA)-Mittel für frühere Programme und Projekte aufbrauchen. Die finanziellen Mittel für aktuelle und künftige Investitionen in die SDGs und Klimaziele könnten dann deutlich sinken. Zudem haben Schuldenerleichterungen den Nachteil, dass der Teufelskreis aus Schuldenerleichterung, neuer Kreditaufnahmespielraum, hohe Verschuldung, erneuter Schuldenerleichterung fortgeführt wird.

Was nun? Welches Instrument zur Umstrukturierung ist kurzfristig verfügbar und geeignet? Die beste Lösung wäre ein Insolvenzverfahren für Staaten, das alle Gläubiger einbinden und einen vorhersehbaren und transparenten Rechtsrahmen für die Umstrukturierung oder den Erlass von Schulden bieten könnte. Obwohl die deutsche Bundesregierung laut aktuellem Koalitionsvertrag die Einführung eines Insolvenzverfahren unterstützt, ist es jedoch ein kompliziertes, rechtlich schwer durchsetzbares und international politisch umstrittenes Instrument. Dieses Verfahren ist kurzfristig nicht umsetzbar.

In der akuten Situation realistischer ist es, auf bestehende Instrumente zur Schuldenerleichterung für Niedrigeinkommensländer zurückzugreifen, wie auf das G20 Common Framework for Debt Treatment. Leider haben sich, infolge von Koordinierungsproblemen unter den Gläubigern und nicht transparenter Schuldenverträge seit der Einführung des G20 Rahmenwerks Ende 2020, nur vier Länder daran beteiligt - Tschad, Äthiopien, Sambia und Ghana. Daher sollten folgende Reformen des Rahmenwerks umgesetzt werden.

Erstens sollten die G20 und die internationalen Finanzinstitutionen die Gläubigerkoordinierung unterstützen und gegenüber den großen Gläubigern wie China und Indien Vertrauen bilden und den Dialog aufrechterhalten. Dafür ist der gemeinsam von IWF, Weltbank und dem G20-Vorsitz geleitete neue Global Sovereign Debt Roundtable eine gute Initiative, die öffentliche und private Gläubiger umfasst.

Zweitens sollten nicht nur die bilateralen, sondern auch die multilateralen und privaten Gläubiger mit eingebunden werden. Die Auslandschulden der Niedrigeinkommensländer gegenüber multilateralen Gläubigern machten 2021 laut Weltbank,  47 Prozent aus.

Drittens sollten Schuldenumstrukturierungen mit Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels verknüpft werden, um einen Synergieeffekt zu erzielen. Da der Klimawandel auch Risiken für die Schuldentragfähigkeit von Ländern birgt, sollten die von IWF und Weltbank durchgeführten Schuldentragfähigkeitsanalysen Klimarisiken besser einbeziehen und das Volumen von Investitionen in Klimaanpassung berücksichtigen.

Fest steht schon jetzt, dass die hochverschuldeten ärmsten Länder der Welt auf eine Schuldenerleichterung angewiesen sind. Ansonsten drohen die in der letzten Dekade erzielten Entwicklungsfortschritte zunichte zu gehen.

Über die Autorin

Berensmann, Kathrin

Wirtschaftswissenschaften

Berensmann

Weitere Expert*innen zu diesem Thema

Balasubramanian, Pooja

Sozioökonomie 

Brüntrup, Michael

Agrarökonomie 

Burchi, Francesco

Entwicklungsökonomie 

Fasold, Maximilian

Politische Ökonomie 

Faus Onbargi, Alexia

Politikwissenschaft 

Haldenwang, Christian von

Politikwissenschaftler 

Malerba, Daniele

Ökonomie 

Mchowa, Chifundo

Entwicklungsökonomie 

Mudimu, George Tonderai

Agrarpolitische Ökonomie 

Schiller, Armin von

Politikwissenschaftler 

Sommer, Christoph

Ökonom 

Walle, Yabibal

Entwicklungsökonomie