Facebook, Twitter & Co.: Demokratisierungsmaschinen oder Handlanger des digitalen Überwachungsstaates?

Facebook, Twitter & Co.: Demokratisierungsmaschinen oder Handlanger des digitalen Überwachungsstaates?

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Breuer, Anita / Sergio Burns
Die aktuelle Kolumne (2013)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 05.08.2013)

Bonn, London 05.08.2013. Am 25. Juli 2013 stimmten Republikaner und Demokraten im US-Repräsentantenhaus mit knapper Mehrheit gegen eine Änderung des Verteidigungshaushaltes. Diese hätte die National Security Agency (NSA) in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, die elektronische Kommunikation der Bürger zu überwachen, inklusive Telefongespräche, E-Mails und Beiträge in sozialen Medien. Der knappe Ausgang der Abstimmung zeigt jedoch, dass Mitglieder beider Parteien dem massenhaften Sammeln von Kommunikationsdaten und den damit verbundenen Einschränkungen der digitalen Privatsphäre der Bürger kritisch gegenüber stehen.

Zur gleichen Zeit sah sich Angela Merkel in Deutschland wachsender Kritik ausgesetzt. Dokumente, die Edward Snowden der Presse zugespielt hatte, deuten darauf hin, dass die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Washington im Bereich der digitalen Überwachung während ihrer Amtszeit erheblich intensiviert wurde. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück warf Merkel vor, die Grundrechte der deutschen Bürger und somit ihren Amtseid verletzt zu haben. Dies griffen Demonstranten auf, die das Twitter-Hashtag #stopwatchingus nutzten, um Anti-Überwachungs-Proteste in 40 deutschen Städten zu organisieren.

Internet-basierte Kommunikation und neue Technologien zum Zweck ihrer Überwachung scheinen mittlerweile untrennbar mit der Debatte um Bürgerrechte und demokratische Partizipation verbunden. Zu Beginn des Sommers dominierten die Massendemonstrationen von Regierungsgegnern in Brasilien und der Türkei die internationalen Schlagzeilen. Sowohl das Ausmaß dieser Proteste als auch ihre Bildsprache illustrierten die zunehmende Relevanz digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien in der raschen Mobilisierung immer größerer Protestbewegungen.
Von den Aufständen des arabischen Frühlings (2010-2011) über Los Indignados („Die Empörten“) in Spanien oder Occupy in London und New York (2011) bis Bulgarien, Brasilien und Türkei (2013): Social-Media-Plattformen haben Demonstrationen spürbaren Zulauf verschafft.

Überall auf der Welt treibt das wachsende Gefühl von Machtlosigkeit und die Entfremdung von politischen Entscheidungsfindungen eine zunehmende Zahl von Bürgern auf die Straße. In Brasilien löste eine Erhöhung der Buspreise in São Paulo um 20 Centavos eine landesweite Protestwelle aus. Zwischen Juni und Juli gingen in 430 Städten mehrere hunderttausend Menschen auf die Straße, um ihrer Wut über eine ganze Reihe von Problemen Luft zu machen, darunter die exorbitanten Ausgaben Brasiliens für die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft 2014. Fast zeitgleich breitete sich in der Türkei der Protest gegen ein Gentrifizierungs-Projekt in der Istanbuler Innenstadt wie ein Lauffeuer über das ganze Land aus.

All dies wirft die Frage nach der Transformation zivilgesellschaftlichen Engagements und demokratischer Partizipation in einer digitalen Welt auf. Sind wir tatsächlich Zeuge einer Entwicklung hin zu einer partizipativeren Demokratie, vorangetrieben von Social-Media-Netzwerken und der Allgegenwart des Mobiltelefons? Social-Media-Plattformen bieten eine Möglichkeit, demokratische Mitbestimmung und die Beteiligung an staatlichen Prozessen auszuweiten. Anlässlich der Demonstrationen, die die Absetzung von Präsident Mohammed Mursi forderten, bemerkte der ägyptische Blogger Sherief Gaber in einem BBC-Interview: „Bei Demokratie geht es nicht nur um die Wahlurne (…). Es geht um Partizipation und soziale Gerechtigkeit.“

Die Risiken und Chancen für politischen Online-Aktivismus variieren allerdings je nach politischem Kontext und politischer Kultur. Das zeigen die unterschiedlichen Erfahrungen mit den jüngsten, von sozialen Medien befeuerten, Protesten in Brasilien und der Türkei.

Brasilianer haben eine Leidenschaft für den Austausch von Informationen über soziale Medien. Dem Brasilianischen Institut für Geografie und Statistik (IBGE) zufolge betrachten 71 % der Brasilianer das Internet als ein politisches Instrument. Die versöhnliche Reaktion der Präsidentin Dilma Rouseff schien diese Wahrnehmung zu bestätigen: Zur Beschwichtigung der Demonstranten kündigte sie an, 23 Milliarden US-Dollar in den öffentlichen Dienstleistungssektor zu investieren und den Kampf gegen Korruption zu verstärken.

Doch nicht alle Regierungschefs sind bereit, soziale Medien als zusätzlichen Kanal politischer Partizipation zu akzeptieren: „Soziale Medien“, so der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan am 2. Juni 2013, „sind die schlimmste Plage der Gesellschaft“. Während der Mainstream der türkischen Medien die Proteste weitgehend totschwieg, informierten und mobilisierten Twitter, Facebook und YouTube die Öffentlichkeit. Am 5. Juni meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu, die Polizei habe 25 Bürger wegen Protestaufrufen und der „Verbreitung irreführender Informationen“ in sozialen Medien inhaftiert.

Diese Ereignisse, wie auch der aktuelle Skandal um PRISM, das Überwachungsprogramm der NSA, werfen ein Schlaglicht auf eines der wichtigsten politischen Schlachtfelder der Zukunft: Hier treffen die divergierenden Interessen von Internet-Unternehmen, Regierungen und Bürgern aufeinander. In diesem Kräftemessen sehen sich Unternehmen ihren Aktionären verpflichtet, Regierungen streben „zum Wohl der nationalen Sicherheit“ nach einer stärkeren Kontrolle über das Internet, und desillusionierte Bürger fordern eine verstärkte Mitsprache in der Politik bei gleichzeitiger Wahrung ihrer (digitalen) Privatsphäre. Bis dieser Kampf ausgefochten und entsprechende Regeln etabliert sind, wird einige Zeit vergehen.

In der Zwischenzeit ist es wichtig, das öffentliche Bewusstsein für Fragen der digitalen Sicherheit zu schärfen, wenn Demokratie künftig auch auf digitalem Weg gefördert werden soll. Mehrere zivilgesellschaftliche Netzwerke wie die US-amerikanische Nichtregierungsorganisation Electronic Frontier Foundation engagieren sich bereits für Bürgerrechte im Internet.

Gerade Bürgeraktivisten müssen begreifen, dass Facebook, Twitter und andere Social-Media-Plattformen weder ihre „Freunde“ sind, noch Instrumente, die zum Zweck der Demokratieförderung konzipiert wurden. Es sind kommerzielle Plattformen gewinnorientierter Unternehmen. Die mutmaßliche Kooperation von Google, Facebook, Apple und anderen US-Internet-Riesen im PRISM-Programm erscheint daher wenig überraschend. Internet-Aktivisten sollten davon ausgehen, dass sich diese Unternehmen zuallererst ihren Aktionären und den Regierungen, auf deren Märkten sie operieren möchten, verpflichtet fühlen und nicht den Demonstranten auf den Straßen Ägyptens, Brasiliens, Griechenlands oder der Türkei.

Die politische Führungsriege Deutschlands wäre daher gut beraten, ihre Haltung zum digitalen Datenschutz zu überdenken. Eine Regierung, die ausländische Blogger für ihr mutiges zivilgesellschaftliches Engagement auszeichnet, die digitale Überwachung ihrer eigenen Bürger jedoch billigend in Kauf nimmt, läuft Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit als internationaler Förderer von Demokratie zu verlieren.

Über die Autorin

Breuer, Anita

Politikwissenschaftlerin

Breuer

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