Gibt es den „Ressourcenfluch“ nicht mehr?

Gibt es den „Ressourcenfluch“ nicht mehr?

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von Haldenwang, Christian
Die aktuelle Kolumne (2012)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 23.07.2012 )

Bonn, 23.07.2012. Bis vor wenigen Jahren war klar: Reichtum an natürlichen Ressourcen ist für die meisten Länder der Erde kein Segen, sondern ein Fluch. Gemeint waren damit in erster Linie nicht-erneuerbare mineralische und fossile Rohstoffe. Sofern man nicht über die guten öffentlichen Institutionen von Norwegen oder Australien verfügte, würde die Ausbeutung von Bodenschätzen fast zwangsläufig zu niedrigeren Wachstumsraten, ungünstiger sozialer Entwicklung und undemokratischen politischen Verhältnissen führen. Der Aufstieg in die Champions League der entwickelten Staaten konnte nur über Industrie und verarbeitendes Gewerbe erfolgen. In diesem einen Punkt waren sich die linke (dependenztheoretisch verankerte) und die rechte (modernisierungstheoretisch verankerte) Entwicklungsforschung einig, wenn auch aus unterschiedlichen Erwägungen.

An dieser Einschätzung ist auch heute noch vieles richtig, aber in letzter Zeit hat sich der Blick auf Naturressourcen verändert. Vor allem zwei Tendenzen haben hierzu beigetragen: Zum einen haben einige Staaten, insbesondere aus der lateinamerikanischen Region, eine rasante Entwicklung hingelegt, bei der ein ressourcenbasierter Wachstumspfad mit gut fokussierten Sozialprogrammen verknüpft und in solide Wirtschafts- und Finanzpolitiken eingebettet war. Zum anderen hat die wissenschaftliche Begleitforschung in den vergangenen Jahren neue Erkenntnisse produziert, die eine differenziertere Interpretation nahelegen.

Eine zentrale Botschaft aus diesen Studien lautet: Auch für Entwicklungsländer muss Ressourcenreichtum kein Nachteil sein. Entscheidend für den gemeinwohlorientierten Umgang mit Ressourcen sind Transparenz sowie die Existenz institutioneller checks and balances im politischen System. Um einen entwicklungsförderlichen Kontext herzustellen, müssen nationale und internationale Anstrengungen ineinandergreifen. Hierin liegt eine wesentliche Aufgabe der Industrieländer, die mehr als bisher dazu beitragen können, dass Naturressourcen verantwortlich eingesetzt werden.

Ressourcenfluch: Worum geht’s?
Die These vom Ressourcenfluch hat eine ökonomische und eine politische Dimension. Ökonomisch gilt, dass die hohe Abhängigkeit eines Landes vom Rohstoffexport eine verzerrte Wirtschaftsstruktur hervorbringt, bei der Investitionen und Produktivitätszuwächse in den übrigen Sektoren niedriger ausfallen, als sonst zu erwarten wäre (die sog. „holländische Krankheit“). Hierunter leiden Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumschancen der gesamten Volkswirtschaft. Preisschwankungen auf den Weltmärkten erschweren die Planung von Investitionen und staatlichen Haushalten zusätzlich. Außerdem führt die Aneignung der Rohstoffrente durch den Staat aufgrund fehlenden Wettbewerbs häufig zu Ineffizienzen, die auch die Entwicklung im Rohstoffsektor selbst beeinträchtigen.

Die ökonomischen Ursachen des Ressourcenfluchs sind also identifiziert. Auch die Lösungsansätze sind im Grunde bekannt. Wichtig ist es, Anreize für die Diversifizierung der Wirtschaft zu schaffen und einen Teil der Rohstoffeinnahmen zu sparen. Gelingt dies, hat man schon viel dazu getan, dass Staat und Wirtschaft nicht völlig von den schwankenden Weltmarktpreisen für Rohstoffe abhängen und sich das Wirtschaftswachstum verstetigt. Zusätzlich muss der Staat dafür Sorge tragen, dass im Produktionsprozess humane Arbeitsbedingungen herrschen und der Verbrauch von Umweltgütern minimiert wird.

Eine zentrale Herausforderung besteht zudem darin, die Rohstoffrente „richtig“ zu verteilen. Hier sind drei Dimensionen zu berücksichtigen: (i) Die Verteilung innerhalb der Gesellschaft: Einnahmen müssen armutsorientiert eingesetzt werden. (ii) Die Verteilung im Staatsgebiet: Die Bevölkerung in besonders belasteten Gebieten muss entschädigt werden, aber das darf nicht zu neuen sozialen Verwerfungen führen. (iii) Die Verteilung zwischen den Generationen: Viele Rohstoffe sind endlich, und der Staat muss dafür sorgen, dass der Reichtum des Landes auch künftigen Generationen zu Gute kommt.

Entscheidend ist die politische Dimension des Ressourcenfluchs
Wenn also im Prinzip bekannt ist, wie Rohstoffe nachhaltig für Entwicklung genutzt werden können – warum geschieht das nicht viel öfter?

Hier greift die politische Dimension des Ressourcenfluchs. Sie begründet sich in zwei Besonderheiten. Erstens erwachsen einer Gesellschaft Einkünfte aus dem Rohstoffsektor in Form von Renten, also (teilweise) unabhängig von Eigenanstrengungen. Dies lähmt die Eigeninitiative und schwächt die Kontrollinstanzen im Institutionengefüge. Zweitens fließen die Einnahmen vor allem dem Staat zu und werden von ihm verteilt. Die Kontrolle über den Staat wird zu einem „Alles-oder-nichts-Spiel“, wenn außerhalb des öffentlichen Sektors kaum profitable Tätigkeiten möglich sind. Im Ergebnis verfügen rohstoffreiche Länder häufig über schwache und ineffiziente Verwaltungsstrukturen und sind im Durchschnitt auch weniger demokratisch als rohstoffarme Länder mit vergleichbarem Pro-Kopf-Einkommen.

Hinzu kommt: Für manche der oben angesprochenen Probleme gibt es keine allgemeingültige „beste“ Lösung. Wie muss zum Beispiel eine faire Verteilung zwischen den Generationen aussehen? Soll man sie so organisieren, dass die Gesellschaft über ein möglichst gleichbleibendes Einkommen aus Rohstoffen verfügt (der permanent income-Ansatz), oder soll man die unsichere Preisentwicklung durch erhöhtes Sparen zum heutigen Zeitpunkt berücksichtigen (der precautionary savings-Ansatz)? Oder soll man im Gegenteil den Verbrauch heute stärker fördern, weil künftige Generationen vermutlich wohlhabender sein werden als die heutige? Der Ausgleich zwischen den Generationen ist schon in der Theorie kompliziert. In der Praxis kommen noch die politischen Kalküle der Führungseliten hinzu und erschweren die Sache zusätzlich.

Fazit: Rohstoffbasierte Entwicklung ist möglich, bleibt aber auch in der heutigen Zeit eine besondere Herausforderung für Entwicklungsländer. Hieraus ergibt sich auch eine Agenda für die internationale Zusammenarbeit. In den Rohstoffe produzierenden Ländern sollte die friedliche und transparente Regulierung von Konflikten bei der Produktion und Verteilung des Rohstoffreichtums unterstützt werden. Das ist weniger eine Frage persönlicher Glaubwürdigkeit als eine des Aufbaus institutioneller Strukturen für Kontrolle, Öffentlichkeit und Mitsprache.

Derartige Maßnahmen können aber nur greifen, wenn auch auf internationaler Ebene mehr Anstrengungen unternommen werden, Rohstoffmärkte und angegliederte Finanzströme zu regulieren und internationale Rohstoffunternehmen weltweit gültigen Regeln zu unterwerfen. Solange Unternehmen und korrupte Einzelpersonen alle Möglichkeiten haben, dubiose Praktiken zu verschleiern und illegal erzielte Profite zu verschieben, wird auch die bestgemeinte Entwicklungspolitik ins Leere laufen.

Über den Autor

Haldenwang, Christian von

Politikwissenschaftler

Haldenwang

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