Europatag

Kein Widerspruch: Europäische Entwicklungspolitik und Geopolitik gehören zusammen

Kein Widerspruch: Europäische Entwicklungspolitik und Geopolitik gehören zusammen

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Bergmann, Julian / Niels Keijzer
Die aktuelle Kolumne (2023)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 08.05.2023

Bonn, 8. Mai 2023. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führt uns auch zum diesjährigen Europatag am 9. Mai vor Augen, dass Frieden auf dem europäischen Kontinent keine Selbstverständlichkeit ist. Angesichts der sich wandelnden Weltordnung ist Geopolitik ins Zentrum des politischen Diskurses in Brüssel gerückt. Doch dürfen die geopolitischen Ambitionen der EU nicht zu Lasten ihrer Entwicklungspolitik gehen, die auf die Förderung nachhaltiger Entwicklung im Interesse ihrer Partner ausgerichtet ist.

Der Europatag erinnert an die Unterzeichnung der Schuman-Erklärung im Jahr 1950. In ihr schlug der französische Außenminister die Schaffung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vor, die den Grundstein für den europäischen Integrationsprozess legte. In diesem Sinne soll der Europatag auch ein Tag des Friedens und der europäischen Einigkeit sein. Doch die EU muss sich auf eine neue geopolitische Situation einstellen, bei der zunehmende Konfrontationen zwischen mächtigen Akteuren die Frage aufwerfen, wie und mit welchen Allianzen sich die EU weltpolitisch positioniert.

Was sind die praktischen Konsequenzen dieser geopolitischen Überlegungen im EU-Außenhandeln, zu dem bekanntlich auch die Entwicklungspolitik gehört? Für viele in Brüssel scheint die Antwort klar: Ein Ausbau der militärischen Fähigkeiten der EU, die Reduzierung von wirtschaftlichen und technologischen Abhängigkeiten sowie eine stärkere Interessenorientierung in allen Bereichen des EU-Außenhandelns. Letztere schlägt sich auch in der Global Gateway-Initiative mit ihrem Fokus auf Infrastrukturinvestitionen nieder, wobei deren Beitrag zur EU-Entwicklungspolitik zunächst unklar bleibt. Der Ruf nach einer stärkeren Ausrichtung der EU-Entwicklungspolitik an den eigenen Interessen besteht spätestens seit der Globalen Strategie von 2016 und wurde in Dezember 2019 durch den Antritt der „geopolitischen Kommission“ von Ursula von der Leyen nochmals verstärkt. Derartige Debatten und Initiativen zeigen, dass der Wunsch nach einer flexibleren und strategischeren EU-Entwicklungspolitik zu einer Instrumentalisierung dieses Politikfelds führen kann, bei der andere Ziele in den Mittelpunkt rücken.

Eine starke Entwicklungspolitik mit einer Ausrichtung auf nachhaltige Entwicklung muss aber nicht im Widerspruch zu einer stärkeren Orientierung an geopolitischen Interessen stehen. Langfristige und an den Interessen der Partnerländer orientierte Entwicklungspartnerschaften aufzubauen und zu pflegen ist eine Voraussetzung dafür, dass die EU als glaubwürdiger und verlässlicher Akteur wahrgenommen wird. Entwicklungspolitik ist auch eine Investition in tragfähige Kooperationen und Allianzen, die für den Erhalt der regelbasierten Weltordnung und nachhaltigen Frieden notwendig sind.

Das Beispiel des anstehenden Wiederaufbaus der Ukraine verdeutlicht dieses Potenzial der Entwicklungspolitik. Zwar hat die EU durch die Finanzierung von Waffenlieferungen im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität einen wichtigen Beitrag zur militärischen Unterstützung der Ukraine geleistet. Langfristig wird sich der geopolitische Einfluss der EU aber vor allem daran messen, ob sie durch eine nachhaltige Unterstützung des Wiederaufbaus der Ukraine zu einer stabilen Sicherheitsordnung in Europa und der Welt beitragen kann. Der Entwicklungspolitik kommt in diesem Kontext eine entscheidende Rolle zu, weil sie das zentrale Instrument dafür ist, die Ukraine bei der angestrebten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation des Landes zu unterstützen.

Damit die EU für diese enorme Aufgabe gut aufgestellt ist, sollten schnellstmöglich folgende Weichen gestellt werden:

Die EU sollte klären, wie sie ihren Beitrag zum Wiederaufbau der Ukraine finanzieren möchte, ohne dabei ihr langjähriges Engagement und ihre Beiträge zur globalen nachhaltigen Entwicklung zu vernachlässigen. Der für das zweite Quartal angekündigte Vorschlag der Europäischen Kommission zur Überarbeitung des mehrjährigen Finanzrahmens bietet die Chance, den Mitgliedstaaten aufzuzeigen, wie die EU über 2023 hinaus Wiederaufbaumaßnahmen und Reformprozesse in der Ukraine finanziell unterstützen möchte. Die Bereitstellung neuer Haushaltsmittel finanziert durch zusätzliche Beiträge von Mitgliedstaaten wäre ein starkes Zeichen der langfristigen Solidarität mit dem Land, aber auch ein wichtiges Signal an andere Geber wie die USA, dass Europa zu einer Führungsrolle in den Wiederaufbaubemühungen bereit ist.

Der fehlende Konsens in der Ukrainefrage mit Europas Partnern – inklusive vieler Mitglieder der Gruppe der 79 afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten – zeigt, dass der Einfluss der EU in der Ukraine auch von ihrer Fähigkeit abhängen wird, internationale Unterstützung für ihre Politik zu sichern. Nur durch ein engagiertes und starkes Engagement für eine gerechte und nachhaltige Entwicklung, das mit angemessenen und wirksamen Mitteln umgesetzt wird, kann die EU ihre internationale Glaubwürdigkeit und ihre internationalen Partnerschaften aufrechterhalten. Flexible Krisenreaktionen dürfen darum nicht auf Kosten langfristiger und zuverlässiger Entwicklungspartnerschaften gehen.

Etwa ein Jahr bevor die EU-Bürger*innen das nächste Europäische Parlament wählen, zeigt der diesjährige Europatag eine EU, die aktiv nach ihrer neuen geopolitischen Rolle sucht und dabei ist, diese durch Initiativen wie Global Gateway und die militärische Unterstützung für die Ukraine zu konkretisieren. Jedoch sollte die EU dabei vermeiden, ihre Entwicklungspolitik vollständig der Außenpolitik unterzuordnen. Stattdessen kann Entwicklungspolitik einen wichtigen Beitrag zur neuen geopolitischen Ausrichtung der EU leisten, wenn ihre Stärken genutzt werden – ein langfristiger Fokus auf nachhaltige Entwicklungsperspektiven und ihre Orientierung an den Prioritäten der Partner.

Über die Autor*innen

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