„Klimaflüchtlinge“ in Europa? – Klimabezogene Migration betrifft vor allem Entwicklungsländer

„Klimaflüchtlinge“ in Europa? – Klimabezogene Migration betrifft vor allem Entwicklungsländer

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Mathis, Okka Lou / Benjamin Schraven
Die aktuelle Kolumne (2015)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne, 10.12.2015)

Bonn, 14.12.2015. Die Flüchtlingskrise ist das zentrale Thema dieses Jahres und wird uns wohl noch lange Zeit beschäftigen. Schon werden Stimmen laut, die mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel die derzeitige Flüchtlingskrise nur als einen Vorgeschmack auf größere und nicht abreißende Ströme von „Klimaflüchtlingen“ sehen, die Europa künftig heimsuchen könnten. Diese Prognosen sind erschreckend und irreführend, denn sie verfehlen den Kern des Problems. Es gibt bereits jetzt Menschen, die ihre Heimat aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels verlassen –  etwa durch die Zunahme von Stürmen, Dürren oder Überschwemmungen. Klimabezogene Migration betrifft jedoch insbesondere Entwicklungsländer und damit die Länder, die die Auswirkungen des Klimawandels am deutlichsten zu spüren bekommen. Auch wenn der massenhafte Ansturm von „Klimaflüchtlingen“ nach Europa erst einmal ausbleiben wird, müssen die Staaten die Weichen für eine angemessene Unterstützung armer und besonders vom Klimawandel betroffener Länder bereits jetzt bei der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Paris stellen. 

Es gibt keinen Automatismus zwischen Klimawandel und Migration nach dem Motto „je heißer oder je weniger Regen, desto mehr Migration“. Einerseits wird Migration in den allermeisten Fällen durch das Zusammenspiel wirtschaftlicher, politischer, sozialer, kultureller und eben auch ökologischer Faktoren bedingt. Das gilt auch für den Ausbruch von bewaffneten Konflikten, die eine Hauptursache für Fluchtbewegungen sind. Der Klimawandel mag zwar einen Baustein in der Entstehungsgeschichte gewaltsamer Konflikte darstellen, wie dies etwa auch für den Bürgerkrieg in Syrien diskutiert wird. Ob Konflikte dann aber eskalieren oder nicht, hängt entscheidend von Faktoren wie politischer Stabilität oder den Kapazitäten der Notfallversorgung in den betroffenen Ländern ab. Ressourcenverknappung und damit einhergehende Verteilungskämpfe werden allerdings in Zukunft aufgrund der Folgen des Klimawandels weiter zunehmen. Andererseits zeigt sich Migration im Kontext des Klimawandels vielmehr in temporär und regional begrenzten Bewegungen als in massenhafter Auswanderung in andere Kontinente – etwa von Subsahara-Afrika nach Europa. Denn die Lebensgrundlagen vieler besonders vom Klimawandel betroffener Menschenberuhen unmittelbar auf der Nutzung natürlicher Ressourcen: Sie sind Kleinbauern, Viehhirten oder Fischer. Damit gehören sie meist zur ärmsten Bevölkerungsschicht und haben oftmals nicht das notwendige Geld, um überhaupt migrieren zu können. Wenn Menschen ihre Heimat aufgrund der unmittelbaren Folgen des Klimawandels verlassen, dann bewegen sie sich meist innerhalb ihrer Heimatländer oder zwischen Nachbarländern. Man spricht deshalb auch von „trapped populations“ (also: „gefangenen Bevölkerungen“). Diese Menschen werden von den Folgen des Klimawandels besonders hart getroffen – etwa durch eine steigende Ernährungsunsicherheit. „Nicht-Migration“ kann also ein ebenso ein Problem darstellen wie Migration. Auch verlassen oft nicht ganze Familien, sondern eher einzelne Haushalts- und Familienmitglieder ihre Heimstätten. Mit dem Geld, das Migranten häufig unter sehr widrigen Umständen verdienen müssen, unterstützen sie ihre Familien bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels. 

Die Frage, ob und wie viele „Klimaflüchtlinge“ zu uns nach Europa kommen werden, entblößt einen eigennützigen und engstirnigen Blick auf die Welt. Dieser wird den tatsächlichen Herausforderungen nicht gerecht. Menschen sehen sich bereits heute durch die Folgen des Klimawandels gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Auch wenn wir in Europa wenig davon mitbekommen, sollten wir doch vorausschauend und über den Horizont der eigenen Grenzen hinaus handeln. Dazu gehören ehrgeizige Minderungsziele und die Verpflichtung, die Erderwärmung bis zum Jahrhundertende unter den von Inselstaaten und anderen Ländern geforderten 1.5° Celsius zu halten, über die zurzeit in Paris verhandelt wird. Gerade als historische Mitverursacher des Klimawandels müssen wir auch fernab unserer Haustür Verantwortung für die Folgen des Klimawandels übernehmen. Dies erfordert neben der Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen in stark betroffenen Ländern auch deren Unterstützung beim Umgang mit Schäden und Verlusten durch die Folgen des Klimawandels. Im Klimaabkommen von Paris müssen sich die Staaten auf einen Rahmen für künftiges Handeln einigen, mit dem „Klimaflucht“ vorgebeugt und „Klimamigration“ gestaltet werden kann.

Über die Autor*innen

Mathis, Okka Lou

Politikwissenschaftlerin

Mathis

Schraven, Benjamin

Politikwissenschaftler

Schraven

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