EU-Haushaltsgipfel

Riskiert die EU erneut einen „no deal“?

Riskiert die EU erneut einen „no deal“?

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Keijzer, Niels/ Benedikt Erforth
Die aktuelle Kolumne (2020)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 17.02.2020

Drei Wochen nach der Verabschiedung Großbritanniens durch das Europäische Parlament, bei der die Abgeordneten Robert Burns‘ „Auld Lang Syne“ anstimmten, beruft EU-Ratspräsident Charles Michel die Staats- und Regierungschefs der EU für den 20. Februar zu einem Sondergipfel über den EU-Haushalt ein. Ziel des Gipfels ist es, eine Einigung über den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU zu erzielen, den Haushalt der Union für den Zeitraum 2021-2027. Derzeit fordern einige Mitgliedsstaaten weitere Kürzungen des vorgelegten Haushaltsplans. Weitere Kürzungen würden jedoch die Fähigkeit der EU beschneiden, global zu handeln und eine nachhaltige, langfristige Partnerschaft mit dem afrikanischen Kontinent aufzubauen.

Auch wenn EU-Haushaltsgipfel nie einfach sind, wird dieser Gipfel wohl eine besondere Herausforderung darstellen. Wie EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen dem Europäischen Parlament berichtete, hinterlässt der Weggang des Vereinigten Königreichs eine Lücke von 75 Mrd. Euro im nächsten MFR. In dieser neuen Situation verhärten sich die Positionen zwischen den Mitgliedsstaaten, die sich als ‚Netto-Beitragszahler‘ betrachten, und denjenigen, die für öffentliche Investitionen in hohem Maße auf EU-Mittel angewiesen sind. Zudem fordern einige Mitgliedstaaten nachdrücklich die Beibehaltung des derzeitigen Ausgabenniveaus für die Regionalentwicklung, andere fordern dasselbe für Agrarsubventionen – beides erhebliche Bestandteile des EU-Haushalts, jedoch mit zweifelhaftem europäischem Mehrwert.

Anfang Dezember wurde ein Kompromissvorschlag für den MFR intern abgestimmt, welcher kurz darauf an die Presse weitergeleitet wurde. Der Kompromiss sah einen Haushalt vor, der 1,07 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) der 27 Mitgliedsstaaten entspricht. Dies stellte eine erheblichen Reduzierung dar gegenüber dem Vorschlag der Kommission vom Mai 2018 in Höhe von 1,114 Prozent. Dennoch liegt auch dieser Haushaltsplan noch über dem von den Netto-Beitragszahlern geforderten 1 Prozent – ironischerweise eine Zahl, die einst von David Cameron vorgebracht worden war. Das Gezerre um Prozentpunkte von Ländern, die stark von der EU-Mitgliedschaft profitieren, zeigt, dass die europäische Integration ins Stocken geraten ist, seit das Projekt vor über sechs Jahrzehnten begonnen wurde. Es ist zu erwarten, dass Ratspräsident Charles Michel noch vor dem Gipfel einen neuen Kompromissvorschlag vorlegen wird.

Auch die Budgetmittel für auswärtige Maßnahmen, und damit von der Leyens ambitionierte Pläne einer geopolitischen Kommission, unterliegen dem Kampf um Steuergelder. Bereits der erste Kompromissvorschlag von Dezember sah vor, die geplanten 123 Mrd. Euro für auswärtige Maßnahmen auf 103 Mrd. Euro zu reduzieren, wobei die Mittel für Subsahara-Afrika um beachtliche 15 Prozent von 32 Mrd. Euro auf 27 Mrd. Euro sinken sollten. Weitere Kürzungen des Gesamthaushalts drohen die verbleibenden Mittel für die externen Politikbereiche auszuzehren.

Obwohl es sich bei den Budgetverhandlungen im Wesentlichen um einen vom Rat gesteuerten Prozess handelt, muss der Haushalt auch vom Europäischen Parlament verabschiedet werden. Dessen Berichterstatter Jan Olbrycht bemerkte im Dezember vergangenen Jahres, dass auf der Grundlage des vorgeschlagenen Budgets „das von der Europäischen Kommission vorgelegte Programm unmöglich umgesetzt werden kann“. Ein Kernelement dieses Programms ist die EU-Außenpolitik, für deren effektiven Umsetzung die Kommission in ihren politischen Leitlinien ursprünglich eine Erhöhung um 30 Prozent gegenüber dem jetzigen Haushalt veranschlagt hatte.

Um den EU-Außenhaushalt vor weiteren Kürzungen zu schützen, müssen die Verhandlungspartner ein überzeugendes Narrativ bieten, das die Bedeutung der EU-Außen- und Entwicklungspolitik sowohl für das internationale als auch für das heimische Publikum deutlich macht. Bereits heute haben einige Mitgliedsstaaten Entwicklungszusammenarbeit als ein Soft Power-Instrument zur Verfolgung von Hard Power-Zielen erkannt. Dennoch ringt die EU damit, dieses Narrativ in die Praxis umzusetzen, etwa in einer geplanten Gesamtstrategie für Afrika oder im europäischen Green Deal. Der Green Deal hat das Potenzial, dem EU-Anspruch gerecht zu werden, eine globale Führungsrolle in der Klimapolitik zu übernehmen. Dazu müssen jedoch mehr Mittel für die externe Dimension des Klimaschutzes bereitgestellt werden.

Weitere Probleme zeichnen sich am Horizont ab. Die anhaltende Verhärtung der Positionen könnte auch dazu führen, dass die Verhandlungen am Jahresende in einer „no deal“-Situation enden. Das Europäische Parlament hat eine solche Möglichkeit bereits angedeutet und in einer Entschließung im Oktober 2019 gefordert, Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass eine Einigung nicht rechtzeitig erzielt wird. Obwohl eine solche Übergangslösung zunächst angemessene finanzielle Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit sicherstellen würde, würde eine Verlängerung des derzeitigen MFR zu einem krassen Missverhältnis zwischen den politischen Ambitionen der EU und den tatsächlichen Möglichkeiten führen. Angesichts dieser alarmierenden Lage ist zu hoffen, dass sich alle Beteiligten weiterhin für die Aushandlung eines MFR einsetzen werden, der – auch wenn er niemanden individuell glücklich macht – den übergreifenden Zielen der Union gerecht wird.

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