Kein Grund zum Feiern am 1. Mai

Wann kommt es zur Emanzipation arabischer Gewerkschaften?

Wann kommt es zur Emanzipation arabischer Gewerkschaften?

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Zintl, Tina
Die aktuelle Kolumne (2018)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 30.04.2018)

Bonn, 30.04.2018. Sicherlich wird in diesem Jahr der Tag der Arbeit auch in arabischen Ländern gefeiert werden – mit viel Prunk und Fanfaren, offiziellen Umzügen und möglicherweise der feierlichen Verkündung einer Gehaltserhöhung im öffentlichen Dienst. Doch einmal abgesehen von der vielerorts noch anhaltenden Begeisterung für den Arabischen Sozialismus: Es gibt nicht viel zu feiern auf den Arbeitsmärkten in Nordafrika und dem Nahen Osten. Ein wichtiger Grund hierfür ist das Fehlen handlungsfähiger Gewerkschaften, die ihrer arbeitsmarktpolitischen Rolle gerecht werden.

Die Arbeitslosigkeit in Nordafrika und dem Nahen Osten, insbesondere unter Universitätsabsolventen und Jugendlichen, ist alarmierend hoch. Und dies, obwohl die Erwerbsquote von Frauen im internationalen Vergleich das Schlusslicht darstellt. Das heißt, viele Frauen (und darüber hinaus die im informellen Sektor Beschäftigten) tauchen in der Arbeitslosenstatistik gar nicht erst auf. Der nun bereits sieben Jahre zurückliegende Arabische Frühling entzündete sich an der prekären sozioökonomischen Lage und am Fehlen von glaubwürdigen Institutionen, die hier Abhilfe leisten können. Seitdem hat sich die Wirtschaftslage in den meisten Ländern der Region eher noch verschlechtert als verbessert. Laut Umfragen werden, neben innerer Sicherheit, Beschäftigung und das Erwirtschaften von Einkommen von großen Teilen der Bevölkerung in arabischen Ländern als dringlichste Probleme gesehen.

Selbst der Klassenprimus in Punkto politische Öffnung, Tunesien, kämpft mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten – und dies obwohl die Gewerkschaft UGTT und der Arbeitgeberverband UTICA als Verhandlungsführer im sogenannten Tunesischen Quartett maßgeblich zum nationalen Dialog und zur Schaffung einer neuen, freieren politischen Ordnung beitrugen und hierfür sogar den Friedensnobelpreis erhielten.

Arabische Gewerkschaften haben einen äußerst schwierigen Stand: Einerseits ist da das korporatistische Erbe aus Zeiten des arabischen Sozialismus, in dem Gewerkschaften weitgehend gleichgeschaltete Massenorganisationen im Dienste autokratischer Herrscher waren. Andererseits ist das Thema Gewerkschaften im arabischen Raum ein hochpolitisches: In einem Kontext, der von westlicher Parteiendemokratie weit entfernt ist, bieten Gewerkschaften einen legalen Rahmen, sich politisch zu organisieren – auch trotz Ausnahmezustand, Versammlungsverboten oder beschnittener Pressefreiheit. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass arabische Potentaten in Gewerkschaften mögliche oppositionelle Rädelsführer vermuten und versuchen, ihren Einfluss – notfalls mit Gewalt – einzuschränken. Selbst der italienische Forscher Giulio Regeni, der zur ägyptischen Gewerkschaftsbewegung forschte, fiel der Repression zum Opfer.

Dementsprechend vorsichtig und verhalten ist der Umgang nicht nur der deutschen Entwicklungspolitik mit dem Thema Gewerkschaften. EZ-Projekte im Bereich Beschäftigung befassen sich vorwiegend mit der Bekämpfung von Jugend- und Frauenarbeitslosigkeit durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, oder mit Unternehmensförderung, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Mikrokrediten. Maßnahmen, die direkt auf die Organisation des Arbeitsmarkts abzielen, wie die zur Unterstützung des tunesischen Sozialpakts, sind eher selten, entwicklungspolitisch aber umso wichtiger. 

Die Funktion von Gewerkschaften ist es in erster Linie, Arbeitnehmerinteressen zu vertreten und der Arbeiterschaft erzielte Verhandlungsergebnisse zu vermitteln, um so zu einem funktionierenden Arbeitsmarkt beizutragen. In Nahost und Nordafrika ist beides unabdingbar, um den überfälligen neuen Gesellschaftsvertrag aus der Taufe zu heben: Arbeitgeber und staatliche Akteure müssen Arbeitnehmer mehr mitbestimmen lassen, arabische Arbeitnehmer im Gegenzug Verhandlungsergebnisse anerkennen und realistische Erwartungen hinsichtlich verfügbarer Jobs im öffentlichen Dienst oder möglicher Sozialleistungen entwickeln.

Nicht nur staatliche Repression, sondern auch Seilschaften und rücksichtslose Durchsetzung von Partikularinteressen gefährden arbeitsmarktpolitische Errungenschaften. Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder in einem Arbeitgeberverband wird bislang häufig nur als Investition in das eigene wasta (arabisch für „Vitamin B“) gedeutet. Diese Vetternwirtschaft oder gegenseitige Schuldzuweisungen an der Misere des lokalen Arbeitsmarkts sind kontraproduktiv. Vielmehr muss die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Institutionen, Arbeitgeberverbänden und eben auch Gewerkschaften stärker in den Mittelpunkt rücken und sich, frei von politischen Vorurteilen, den Problemen auf dem Arbeitsmarkt widmen. Mit etwas Mut und Fingerspitzengefühl kann die deutsche Entwicklungspolitik arabischen Partnern das deutsche Modell der Sozialpartnerschaft nahebringen und so zur inklusiveren Wirtschaftsentwicklung beitragen. Zum Tag der Arbeit heißt es: Es gibt noch viel zu tun, für die arabische Welt und für ihre entwicklungspolitischen Unterstützer!

Über die Autorin

Zintl, Tina

Politikwissenschaftlerin

Zintl

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