Die aktuelle Kolumne

Internationaler Tag der Biodiversität

Warum Schutzgebiete allein den Verlust der Biodiversität nicht verhindern können

Hein, Jonas / Marcelo Inacio Da Cunha / Jean Carlo Rodriguez de Francisco
Die aktuelle Kolumne (2024)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 21.05.2024

Bonn, 21. Mai 2024. Der 22. Mai ist der internationale Tag der Biodiversität. Doch trotz des im Dezember 2022 verabschiedeten historischen neuen globalen Rahmenabkommens über die biologische Vielfalt (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (KMGBF)) und des vorangegangenen Strategieplans für die Aichi-Ziele 2011-2020 sind weiterhin ca. 1 Millionen Arten vom Aussterben bedroht. Das diesjährige Motto „sei Teil des Plans“ unterstreicht aufs Neue, dass gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengungen nötig sind um die Artenvielfalt zu erhalten.

Ein wesentlicher Bestandteil des globalen Plans zum Erhalt der Artenvielfalt ist das Ziel, bis 2030 30% aller Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen (Handlungsziel 3 des KMGBFs). Bislang wurden ca. 16% der Landfläche und 8% des Ozeans als Schutzgebiete ausgewiesen. Doch nicht alle Schutzgebiete tragen zum Erhalt der Biodiversität bei und die Neuausweisung von Schutzgebieten alleine wird nicht reichen um das Artensterben zu stoppen. In den letzten Jahren hat der Anteil der Schutzgebiete weltweit sogar stetig zugenommen und trotzdem hat sich das Artensterben kaum verlangsamt. Dies hat zwei wesentliche Ursachen. Erstens können Schutzgebiete allein die indirekten Triebkräfte des Artensterbens nicht aufhalten. Indirekte Triebkräfte umfassen unsere Konsummuster und unser auf permanentes Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem. Diese Ursachen werden vom KMGBF allerdings nur zum Teil adressiert (z. B. durch Handlungsziel 15: „Unternehmen bewerten, legen offen und reduzieren Risiken und negative Auswirkungen im Zusammenhang mit der biologischen Vielfalt“ und Handlungsziel 16: „Nachhaltige Konsumentscheidungen ermöglichen, um Abfall und Überkonsum zu reduzieren“).

Zweitens werden die Schutzgebiete weltweit nicht wirksam überwacht und verwaltet. Die deutschen Meeresschutzgebiete veranschaulichen dies. So hat Deutschland 45% seiner Meeresflächen unter Schutz gestellt, doch weisen Meeresschützer*innen seit Jahren daraufhin, dass diese Schutzgebiete letztlich als sogenannte Paper Parks vor allem auf dem Papier existieren. Seit 2023 gibt es zwar Schutzgebietsverordnungen und auf diesen aufbauenden Managementplänen für einige nationale Meeresschutzgebiete. Doch diese sind laut WWF ungenügend. Denn auch innerhalb der Schutzgebiete finden weiterhin Aktivitäten statt, die die Artenvielfalt gefährden. So ist z. B. im Schutzgebiet „Borkumer Riffgrund“ die Suche nach Kohlenwasserstoffen explizit erlaubt und das Schutzgebiet „Fehmarn Belt“ wird von Schifffahrtsstraßen gekreuzt. Darüber hinaus gefährden der Klimawandel und große Infrastrukturprojekte, wie die Elbvertiefung, die Schutzgebiete. Ein möglicher neuer Nationalpark Ostsee in Schleswig-Holstein scheiterte am Widerstand des Tourismus- und Fischereisektors. Paradoxerweise sind dies genau jene Akteur*innen, die unmittelbar vom Erhalt der Ostsee profitieren und die sich beispielsweise im Kontext der Elbvertiefung für den Erhalt der Flusslandschaft und der Fischbestände einsetzen.

Um die gesellschaftliche Akzeptanz neuer Schutzgebiete zu erhöhen und gleichzeitig deren Wirksamkeit im Sinne des Artenschutzes zu verbessern, ist es aus unserer Sicht notwendig, Schutzgebiete grundlegender neu zu denken. Eine Ursache für den starken Widerstand gegen neue Schutzgebiete in Schleswig-Holstein und anderen Teilen der Welt, ist die nach wie vor dominierende Vorstellung, dass der Mensch von der Natur ferngehalten werden muss, um diese zu schützen. Dies führt in vielen Teilen der Welt zu teilweise tödlichen Konflikten und Menschenrechtsverletzungen. Stattdessen könnten Gemeindeschutzgebiete und gemeinsames Schutzgebietsmanagement effektive Lösungsansätze für Naturschutz sein. Die Verwaltung von Schutzgebieten sollte die Teilhabe an Entscheidungsprozessen von Akteur*innen mit Rechten (Landrechte, Nutzungsrechte, Gewohnheitsrechte, Menschenrechte) ermöglichen. So sollte es indigenen Gruppen und lokalen Ressourcennutzer*innen, die Flächen traditionell nachhaltig genutzt haben, gestattet werden, ihre Praktiken fortzuführen. Das brasilianische Umweltrecht ermöglicht beispielsweise lokalen traditionellen Gemeinschaften, sich aktiv in das Schutzgebietsmanagement einzubringen. Dies wird leider bislang nicht ausreichend umgesetzt.

Um den gesellschaftlichen Stellenwert von Arten und deren Lebensräumen zu erhöhen, könnte es zudem helfen, bedrohte Arten und Ökosysteme als Rechtssubjekte zu etablieren. So wurden in Kolumbien, Indien und Neuseeland Flüsse als Rechtssubjekte anerkannt. In Ecuador ist der Erhalt von „Mutter Erde“ in der Verfassung verankert. Es können, bzw. konnte sich zwar weder die Elbe noch der durch die Elbvertiefung bedrohte Schierlingswasserfenchel selbst repräsentieren und vor Gericht ziehen. Allerdings würde dieser Schritt die Tatsache betonen, dass wir Menschen Teil der Natur sind und ihre Zerstörung so zumindest rechtlich erschweren.

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