Der Internationale Tag für die Beseitigung der Armut

Warum unser enger Blick auf Armut ihre Beseitigung behindert

Warum unser enger Blick auf Armut ihre Beseitigung behindert

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Malerba, Daniele / Francesco Burchi
Die aktuelle Kolumne (2019)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), (Die aktuelle Kolumne vom 17.10.2019)

Bonn, 17.10.2019. Am 17. Oktober 1987 versammelten sich in Paris auf Initiative von Pater Joseph Wresinski rund 100.000 Menschen, um mit Nachdruck zu erklären, dass Armut eine Verletzung der Menschenrechte ist. Angeregt durch dieses Großereignis erklärten die Vereinten Nationen 1992 dieses Datum offiziell zum Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut. Heute, mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ereignis von Paris, gilt die Beseitigung der Armut immer noch als „die größte globale Herausforderung“, wie unlängst das hochrangige politische Forum der Vereinten Nationen (HLPF) für nachhaltige Entwicklung betonte. Da die vergangenen Jahrzehnte eine deutliche Verringerung extremer Armut gebracht haben, mag dies wie eine Übertreibung erscheinen. 1990 lebte mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung in extremer Armut (von der Weltbank definiert als Einkommen unter 1,90 $ pro Tag). Bis 2015 sank dieser Wert auf ein Zehntel. Soweit also gute Nachrichten. Doch weil sich die weltweite Verringerung der Armut in jüngster Zeit verlangsamt hat, spricht vieles dafür, dass Armutsbekämpfung weiterhin ganz oben auf der Tagesordnung steht: Als Folge der Verlangsamung wird die Welt voraussichtlich das Ziel der Beseitigung der Armut bis 2030 verfehlen, vor allem wenn die prognostizierten negativen Folgen des Klimawandels in Bezug auf Armut eintreten. Um diesen Trend umzukehren, ist ein besseres Verständnis von Armut erforderlich. 

Sowohl das Ziel für nachhaltige Entwicklung (SDG) 1 als auch der Internationale Tag für die Beseitigung der Armut fordern, Armut und Elend in all ihren Formen überall zu beenden. Diese Verpflichtung hat zwei Implikationen. Erstens ist es notwendig, über eine auf Einkommensmangel basierende Armutskonzeption hinauszugehen und die Mehrdimensionalität von Armut anzuerkennen. Dies bedeutet, Armut als Mangel an hinreichender Bildung, Gesundheit, menschenwürdiger Arbeit und anderen wichtigen Dimensionen menschlichen Lebens zu betrachten. In einer aktuellen Studie haben wir gezeigt, dass das Niveau der multidimensionalen Armut viel höher ist als das der Einkommensarmut. Überdies war der Rückgang der multidimensionalen Armut zwischen 2000 und 2012 deutlich geringer als der der Einkommensarmut. Zum Zweiten sind die Erfolge bei der Armutsbekämpfung sowohl beim Einkommen als auch bei der multidimensionalen Armut in einzelnen Regionen sehr unterschiedlich. Die globale Verringerung der Armut wurde von China und anderen asiatischen Ländern getragen. Einige Regionen haben nur sehr geringe Verbesserungen verzeichnet. Die absolute Zahl der Menschen, die in Subsahara-Afrika in extremer Armut leben, nimmt sogar zu. Dort leben 85 Prozent der Bevölkerung mit einem täglichen Einkommen, das unter dem Preis einer Tasse Kaffee in New York liegt. Zugleich werden ländliche Gebiete in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen von den nationalen Regierungen vernachlässigt. Ihre Armutsquoten sind im Durchschnitt etwa drei- bis viermal so hoch wie in städtischen Gebieten

Diese Entwicklungen zeigen, dass business as usual nicht überall die Armut in all ihren Formen beseitigen wird. Entscheidungsträger müssen unterschiedliche Strategien verfolgen. Auch wenn Wirtschaftswachstum weiterhin wichtig ist, um Wohlstand und Arbeitsplätze zu schaffen, ist es weder ausreichend noch ökologisch nachhaltig, vor allem darauf zu setzen. Die Bekämpfung der Armut erfordert vielmehr Sozialpolitiken, insbesondere Programme zur sozialen Sicherheit. Die Erfahrungen mit großangelegten Programmen, insbesondere mit social cash transfer-Programmen in Lateinamerika, zeigen, dass derartige Instrumente sehr effektiv sein können, wenn es darum geht, niemanden zurückzulassen. Sie reduzieren erfolgreich Ungleichheit und damit sowohl Einkommens- als auch multidimensionale Armut. Die Zahl der Programme und ihr Umfang sind auch in Asien schnell gewachsen. Die Situation in Subsahara-Afrika ist jedoch ganz anders, wie ein aktueller Bericht des UNDP verdeutlicht, der die anhaltende Armut in der Region teilweise erklärt. Trotz der Tatsache, dass das Recht auf sozialen Schutz in einer wachsenden Zahl von Verfassungen genannt wird und trotz der zunehmenden Zahl von Sozialprogrammen, müssen schätzungsweise 87 Prozent der Bevölkerung in Subsahara-Afrika ohne jegliche Sozialleistungen auskommen. 

Der 1988 verstorbene Pater Joseph Wresinski würde sich sicherlich über die weltweiten Fortschritte bei der Armutsbekämpfung seit der Kundgebung in Paris freuen. Sein Aufruf zum Handeln sollte jedoch in den Köpfen von Entscheidungsträgern lebendig bleiben, wenn wir die Armut endgültig überwinden wollen. In diesem Sinne muss die Beseitigung der Armut im Zentrum der internationalen Agenda bleiben, auch wenn sich das jüngste UN-HLPF-Treffen auf die akute Klimakrise konzentrierte; dabei sollte der Fokus auf Synergien mit Klimaschutzmaßnahmen liegen. Politische Anstrengungen müssen den Ländern in Afrika südlich der Sahara Vorrang geben, in denen Armut im Wesentlichen unverändert geblieben ist, sowie ländlichen Gebieten, die bei der Verteilung nationaler Ressourcen immer noch benachteiligt werden. Systeme der sozialen Sicherheit bieten praktikable Lösungen, doch ist es wichtig, ihre Qualität zu verbessern und die staatliche Eigenverantwortung für die Programme zu erhöhen. Schließlich kann die Forschung eine wichtige Rolle spielen, insbesondere durch die Entwicklung besserer Verfahren zur Messung von Armut. Nur wenn wir besser verstehen, wer die Armen sind, wo sie leben und worin die Ursachen der Armut liegen, können wir effektivere Politiken entwickeln und die Armut ein für alle Mal beseitigen. 

Über die Autor*innen

Burchi, Francesco

Entwicklungsökonomie

Burchi

Malerba, Daniele

Ökonomie

Malerba

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