Entkolonialisierung und Co.

Wo sind die afrikanischen Stimmen?

Wo sind die afrikanischen Stimmen?

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Adaawen, Stephen / Benjamin Schraven
Die aktuelle Kolumne (2019)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), (Die aktuelle Kolumne vom 04.02.2019)

Bonn, 04.02.2019. Der afrikanische Kontinent besitzt heute einen Stellenwert im öffentlichen und politischen Diskurs in Deutschland und Europa wie vielleicht noch nie seit Ende der Kolonialzeit. Dies zeigt sich insbesondere an drei Debatten bzw. Fragen, die in jüngster Vergangenheit nicht nur zu heftigen, (teils diplomatischen) Verwerfungen geführt haben: Was tun gegen Flucht und Verzweiflungsmigration aus Afrika? Wie kann ein fairer Umgang mit während der Kolonialzeit geraubten Kunst- und Kulturgegenständen aussehen – oder kann es diesen überhaupt geben? Sind die west- beziehungsweise zentralafrikanischen Gemeinschaftswährungen CFA-Franc ein post-koloniales Machtinstrument Frankreichs, welches die Herrschaft über seine ehemaligen afrikanischen Kolonien niemals wirklich aufgegeben hat? Doch anders als in der Vergangenheit ist die „Kolonialherrenart“, die viele Europäer an den Tag legten, zunehmend passé. Der Ruf, wichtige Bereiche der Wissenschaft, Kultur oder Politik zu „entkolonialisieren“ und in einen Dialog auf Augenhöhe mit dem Nachbarkontinent Europas und seinen Menschen einzutreten, wird immer lauter. Aber wo sind eigentlich die afrikanischen Positionen in diesen Debatten? Leider sind ihre Stimmen in vielen öffentlichen Bereichen nach wie vor kaum hörbar. Das muss sich ändern.

Im deutschen (Spitzen-)Sport sind Menschen mit afrikanischen Wurzeln schon lange eine Alltäglichkeit – sie erfahren in den Vereinen und bei Millionen Fußballfans Unterstützung und Sympathie für ihre Leistungen. Auch im Unterhaltungsbereich gibt es zahlreiche afrodeutsche Gesichter. Künstler wie Samy Deluxe, Eunique oder Afrob etwa sind wichtige Größen ihrer jeweiligen musikalischen Genres in Deutschland. Erst gestern hat auch mit Florence Kasumba die erste Kommissarin mit afrikanischen Wurzeln ihren Dienst in der altehrwürdigen „Tatort“-Reihe der ARD angetreten. Im Gegensatz dazu sieht es vor allem im politischen Betrieb ganz anders aus: Dem einen oder der anderen fällt nach mühsamem Überlegen vielleicht noch Karamba Diaby ein, ein im Senegal geborener Bundestagsabgeordneter der SPD. Aber sonst?

Obwohl es natürlich auch in Deutschland selbst afrikanische beziehungsweise afrikanisch-stämmige Wissenschaftlerinnen, Kulturvertreter oder Journalistinnen gibt, sind die oben bereits erwähnten Debatten doch sehr eurozentristisch. Schaut man etwa auf die deutsche Fluchtursachen-Debatte, erwecken bis heute einige Beiträge den Eindruck, dass es vor allem auf Europa ankäme: durch weniger Rüstungsexporte, weniger Treibhausgasemissionen und ein Mehr an Entwicklungszusammenarbeit und Migrationskontrolle ließe sich das Problem schon langfristig lösen. Wer so argumentiert, der mag zwar von der eigenen Hybris beseelt sein, macht es sich aber sicherlich zu einfach.

Die Ursachen von Flucht und irregulärer Migration sind höchst komplex und lassen sich nicht einfach auf Armut, Klimawandel oder das Erbe der Kolonialzeit reduzieren. Vielmehr spielen hier unter anderem lokale Konflikte oder spezifische politische Konstellationen vor Ort eine große Rolle. Um diese Probleme anzugehen, bedarf es auch sehr guter Kenntnisse der komplexen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in den über 50 afrikanischen Staaten. Leider neigen viele Deutsche noch immer dazu, den afrikanischen Kontinent wie ein einziges Land zu betrachten. In der Debatte um die Bewältigung der Probleme der afrikanischen Länder bevorzugen viele daher auch eher simple Pauschallösungen - statt auf lokale Fachexpertise zu hören.

Auch bei der Debatte um die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte, die sich in letzter Zeit stark um die Fragen von Entschädigung oder Rückgabe geraubter Kulturgegenstände dreht, zeigt sich eine nicht sonderlich ausgeprägte Bereitschaft, die afrikanische Seite beziehungsweise afrikanische Diaspora-Gruppen miteinzubinden. So entsteht leicht der Eindruck, dass es sich bei derlei Unterfangen vor allem um europäische beziehungsweise „weiße“ Elitenprojekte handelt, bei denen die Deutungshoheit um die Kolonialzeit und ihr Erbe vor allem einer Seite zukommt – nämlich der europäischen. Damit würde der Sinn der Entkolonialisierung, also einer Befreiung Afrikas von europäischen Sicht- und Interpretationsmustern, selbstredend ad absurdum geführt.

Natürlich gibt es z.B. in der Wissenschaft schon positive Ansätze für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Die AIMS Initiative etwa, eine v.a. von der Humboldt-Stiftung geförderte Initiative für mathematische Forschung an verschiedenen afrikanischen Universitäten, die ohne einen europäischen „Lead“ auskommt, wäre hier zu nennen. Auch die sogenannten Reformpartnerschaften der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Ländern wie Ghana oder der Elfenbeinküste lassen sich als grundsätzlich positive Beispiele nennen. Aber nur wenn wir es insgesamt schaffen, statt vor allem über, auch noch mehr mit Afrika, seinen Menschen und seiner Diaspora zu sprechen, kann es gelingen, Diskurse auch tatsächlich zu entkolonialisieren. Und nur so können Afrika und Europa auch voneinander lernen, sowohl gemeinsame als auch Probleme der jeweils einen oder anderen Seite zu bewältigen.


Stephen Adaawen ist selbstständiger Gutachter und Wissenschaftler aus Ghana mit den Arbeitsschwerpunkten Migration, Klimawandel und ländliche Entwicklung.Benjamin Schraven ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprogramm "Umwelt-Governance und Transformation zur Nachhaltigkeit" am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Über den Autor

Schraven, Benjamin

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Schraven

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