Wie gelingt gesellschaftlicher Zusammenhalt?

Wie gelingt gesellschaftlicher Zusammenhalt?

Für eine gemeinwohlorientierte nachhaltige Entwicklung von morgen ist gesellschaftlicher Zusammenhalt heute ein Schlüsselfaktor. Gesellschaftlicher Zusammenhalt stellt eine wichtige Voraussetzung für eine friedliche Transformation und die Umsetzung des Prinzips „Leave no one behind” der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung dar. Er stärkt die Widerstandsfähigkeit einer Gemeinschaft oder eines Staates in Krisensituationen und ermöglicht Veränderungsprozesse zum Wohle aller. Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) hat sich in den letzten Jahren zu einer Anlaufstelle für empirische Forschung und Beratung weltweit sowie zur Bündelung theoretischer Konzepte und empirischer Messansätze im Bereich sozialer Kohäsion entwickelt.

Starke, inklusive Institutionen sind notwendig

Das Auseinanderdriften von Gesellschaften wird in öffentlichen Debatten im Globalen Süden und Norden immer mehr thematisiert. Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist eine Herausforderung für alle. Um ihn zu fördern und zu erhalten, bedarf es starker, inklusiver Institutionen. Diese ermöglichen und pflegen konstruktive Beziehungen zwischen den Mitgliedern und Gruppen einer Gesellschaft sowie zwischen ihnen und dem Staat. Zusammenhalt entsteht durch gegenseitiges Vertrauen, Identifizierung mit dem Gemeinwesen und gemeinwohlorientierter, anstatt partikularistischer, Kooperation von Individuen und sozialen Gruppen.

 

Sozialen Zusammenhalt zu schützen und zu stärken, ist ein wichtiges Ziel für Gesellschaften und globale Politik. Entsprechend haben zahlreiche Staaten, internationale Organisationen sowie eine Vielzahl weiterer Akteure soziale Kohäsion prominent auf ihre Agenden gesetzt. In Deutschland hat das Bundesministerium für  wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gesellschaftlichen Zusammenhalt zu einem Kernthema seiner zukünftigen Entwicklungspolitik gemacht.

Soziale Kohäsion empirisch messen

Vor diesem Hintergrund zielen Forschung und Beratung des DIE darauf ab, soziale Kohäsion besser zu verstehen und erklären zu können, an welche Bedingungen sie geknüpft ist und welche Stellschrauben sie fördern oder gefährden können. Insbesondere arbeitet das DIE an der empirischen Messung dieses komplexen Phänomens. Nur so kann es für die Analyse einzelner Gesellschaften zugänglich gemacht werden.

 

Daten aus den regelmäßigen, national repräsentativen Umfragen von Afrobarometer bilden die Hauptgrundlage dieser Arbeit. Basierend auf den Ergebnissen der Forschung, die zeigen, dass politisches Handeln soziale Kohäsion befördern kann, untersucht das Team des DIE Auswirkungen von Steuer-, Sozial- und Wirtschaftspolitik sowie von Werten, Institutionen und Friedensförderung. Diese Kenntnisse stellen eine wichtige Grundlage für evidenzbasiertes politisches Handeln durch Entscheidungsträger*innen dar. Das DIE hat zum Ziel, diese Ergebnisse der Politik zur Verfügung zu stellen und mit ihren Vertreter*innen offen zu diskutieren – dazu tragen regelmäßige Publikation und Veranstaltungen unterschiedlicher Art bei.

Megatrends wie steigende Ungleichheiten, der demographische Wandel, Migration, ansteigender Nationalismus und Autokratisierung sowie Digitalisierung und Urbanisierung stellen Chancen, aber auch Gefahren für die soziale Kohäsion dar, die es mit Hilfe der Forschung zu verstehen und denen es durch die Politik zu begegnen gilt. Der Social Cohesion Hub, den das DIE angestoßen und ins Leben gerufen hat, bietet seit 2020 eine zentrale Informations- und Vernetzungsplattform für Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen weltweit, die zu diesem Thema arbeiten.

 

COVID-19 als globaler Stresstest für Gesellschaften

Die Herausforderungen der COVID-19-Pandemie haben das eher abstrakte Konzept des gesellschaftlichen Zusammenhalts sehr greifbar gemacht: Die Auswirkungen der Pandemie sind ein globaler Stresstest für Gesellschaften und drohen, sie teilweise weiter zu polarisieren. Kurzfristig scheinen die Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie Gesellschaften aber auch zusammenschweißen zu können. Das Gefühl des solidarischen Miteinanders, des gemeinsamen Betroffenseins, stärkte den Zusammenhalt. Jedoch wurde überall schnell deutlich, dass das Narrativ der „globalen Betroffenheit aller Gesellschaften“ so nicht zutrifft. Zwar sind alle Gesellschaften und Bürger*innen beeinträchtigt, aber sie sitzen dennoch nicht alle „im gleichen Boot“. Bestimmte Regionen, Sektoren und gesellschaftliche Gruppen sind besonders stark von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Die massiven Folgen des globalen Shutdowns (u.a. Arbeitsplatzverlust, Staatsverschuldung, Einkommenseinbußen, auch in informellen Sektoren) können vor allem mittel- und langfristig neue Verwerfungen erzeugen und Ungleichheiten weiter vertiefen. Auch der zusätzliche Finanzbedarf der öffentlichen Haushalte zur Abfederung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen wird gewaltig sein. Wenn Menschen es so wahrnehmen, dass die verschiedenen Lasten der Pandemie ungleich verteilt werden während gleichzeitig manche Sektoren und Einkommensgruppen illegitim von den Maßnahmen profitieren, kann dies gesellschaftlichen Zusammenhalt untergraben. Es hat sich auch gezeigt, dass notwendige Schutzmaßnahmen nur erfolgreich sein können, wenn diese von allen Bevölkerungsgruppen mitgetragen werden und Einzelne und die Gesellschaft Verantwortung füreinander übernehmen.


Die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und damit der Stressresistenz ist daher ein Ziel für alle Länder, sowohl Entwicklungs- wie Industrieländer. Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist sowohl Voraussetzung für eine gedeihliche und friedliche internationale Zusammenarbeit als auch im Idealfall ihre Wirkung. Entwicklungspolitik kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Bei der Förderung inklusiver und auf Dialog ausgerichteter demokratischer Systeme, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz sollte auch die Unterstützung sozialer Kohäsion eine tragende Rolle spielen. Dabei gilt es, gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Entwicklungspolitik nicht nur auf allen Ebenen mitzudenken, ihn nicht als Sektor zu verstehen, sondern auch von der Offenheit der Gesellschaften im globalen Süden zu lernen. Der vom DIE angestoßene Social Cohesion Hub leistet einerseits gemeinsam mit internationalen Forschungspartnern einen zentralen Beitrag, um die Erfolgsbedingungen für soziale Kohäsion wissenschaftlich zu ergründen. Andererseits bietet er eine Plattform für den praktischen Austausch über die Erfolge und Herausforderungen bei der Förderung von sozialer Kohäsion.

Die Autor*innen

Dr. Julia Leininger ist Leiterin des Forschungsprogramms „Transformation politischer (Un-Ordnung): Institutionen,Werte und Frieden“ und Ko-Leitung des Forschungsprojekts „Soziale Kohäsion in Afrika“. Sie arbeitet zu politischer Transformation, Demokratie förderung und sozialer Kohäsion.

Armin von Schiller (PhD) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Programm „Transformation politischer (Un-Ordnung): Institutionen, Werte und Frieden“ und Ko-Leitung des Forschungsprojekts „Soziale Kohäsion in Afrika“. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf den Bereichen Good Financial Governance und gesellschaftlicher Zusammenhalt in Entwicklungsländern, mit einem Fokus auf Steuermoral, Steuerverwaltung und die Beziehungen zwischen Bürger und Staat.

Prof. Dr. Emmanuel Gyimah-Boadi ist Exekutivdirektor von Afrobarometer, ehemaliger Exekutivdirektor des Ghana Center for Democratic Development (CDD-Ghana) und Professor im Ruhestand an der Universität von Ghana, Legon. Er hat sich eingehend mit den Perspektiven und Herausforderungen demokratischer Regierungsführung in Afrika befasst.

Soziale Kohäsion - aktueller Forschungsstand

Im Fokus

Diskussionsbedarf in puncto Demokratie und gesellschaftlicher Zusammenhalt
Leininger, Julia / Armin von Schiller (2021)

Die aktuelle Kolumne vom 28.04.2021

Im Fokus

Jahresbericht 2019/20: Brücken bauen zwischen Theorie und Praxis
German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Hrsg.) (2020)